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Kulinarik

Der Schnitzelflüsterer

Ich bin Souffleur. Es gab Zeiten, als ich so viele Wiener Schnitzel soufflierte, dass ich das Gefühl hatte, ich habe das Wiener Schnitzel erfunden. Junge Hausbewohner ernährten sich damals noch nicht vegan, auch die Fleischindustrie wurde noch nicht mit derselben kritischen Distanz angesehen wie heute. Kalbfleisch – mindestens in Form von Kalbspariser zum Essiggurkerl – war ein Grundnahrungsmittel, und der Vorschlag, zum Abendessen ein Schnitzel herauszubacken, stieß jederzeit auf Gegenliebe und hatte keine Klimadiskussionen zur Folge.

Habe ich jemals ein Rezept für das Wiener Schnitzel gebraucht? Ich denke nicht, jedenfalls nicht in der Phase, als ich das Schnitzel persönlich erfunden hatte. Zu Beginn schaute ich vielleicht einmal im ewigen Plachutta-Wagner mit dem euphemistischen Titel „Die Gute Küche“ nach, wo ich in vielen Jahren so ziemlich alles gefunden habe, was für mein Leben im Kochverschlag von Bedeutung war. Aber die Rezepte in der „Guten Küche“ sind auch von einer so unverschämten Selbstverständlichkeit, dass man sich ihre Handgriffe schnell aneignet und anschließend vergisst, wer den Text dazu formuliert hat. Später mehr dazu.

Trotzdem müssen Selbstverständlichkeiten hinterfragt werden, sogar meine. Es lohnt sich durchaus, manche vergangenen Moden zu betrachten oder ein Wiener Schnitzel zum Beispiel aus dem Kontext des Wienerischen zu befreien, es ist ja zum beliebten Exportartikel geworden. Metaphysisch beschreibt es das Wesen des Österreichischen – zuletzt zierte ein Schnitzel in der Form der österreichischen Landesgrenzen das Cover einer Monocle-Ausgabe über Österreich. Nicht einmal den obercoolen Dudes aus dem Lifestyle-Labor war das Klischee also zu abgenudelt, unser Land ordentlich zu panieren, um damit gewisse Nationaleigenschaften zu symbolisieren. Nur eines dazu: Souffliert haben sie uns nicht vorschriftsgemäß…

Kulinarisch hat das Schnitzel Weltkarriere gemacht. So wie das Münchner Oktoberfest längst rund um die Welt gefeiert wird, gibt es auch an den Gestaden des Südchinesischen Meers Wiener Schnitzel-Lokale, in jeder Großstadt der Welt wird besser oder schlechter „a la viennoise“ paniert. In der Schweiz heißt das nationale Lieblingsessen nicht etwa Zürcher Geschnetzeltes, sondern „Schnipo“ – Schnitzel mit Pommes“. Da wurden also Fakten geschaffen, bevor wir die Beilagenfrage überhaupt auch nur gestreift haben.

Beginnen wir mit dem scheinbar Selbstverständlichsten, den historischen Ursprüngen unseres Schnitzels. Dafür blätterte ich im Klassiker von Katharina Prato mit dem etwas umständlichen Namen „Die Süddeutsche Küche auf ihrem gegenwärtigen Standpunkte mit Berücksichtigung des Thee’s und einem Anhange für das moderne Serviren. Für Anfängerinnen, sowie für praktische Köchinnen“ aus dem Jahr 1872. Ein „Wiener Schnitzel“ sucht man in diesem Kompendium übrigens vergebens. Was man jedoch findet, sind die sogenannten „eingebröselten Schnitze“, ohne Schluss-L, und zwar gleich vier von ihnen: Mit Limonensaft. Mit Sardellen. Mit Rahm. Und mit Knoblauch.

Die Vorgehensweise unterscheidet sich doch einigermaßen vom derzeitigen State-of-the-Art-Schnitzel. Das war einen Versuch in meinem Küchenverschlag wert. Ich klopfte und salzte also meinen Schnitz wie vorgegeben, drehte ihn anschließend „in Butter“, die ich vorher eigenmächtig verflüssigt hatte – das Rezept sagte dazu nichts –, wendete das üppig glänzende Fleischstück in den Bröseln und briet es wie vorgeschrieben „jäh“ ab – wiederum in Butter, was ein Ergebnis zeitigte, für das mich jeder Lehrherr mit dem Fetzen aus der Küche gejagt hätte. Das Ergebnis sah räudig aus, ließ sich aber mit etwas „Limonensaft und aufgelöster Glace“, also einem zusätzlichen Doppelwhopper aus Säure und Fett, schon essen, wenn auch mit geschlossenen Augen.

Für die zweite Variante musste ich mein gesalzenes „Schnitzchen“ zuerst mit feingehackter Petersilie und zu würzigem Schnee verarbeiteten Schalotten bestreichen, dann, nach „einer Weile“ des Rastens, durch warme Sardellenbutter ziehen, anschließend mit Bröseln panieren und jäh abbraten. Diesmal nahm ich Öl, die Hitze tat dem Ansehen des merkwürdigen Schnitzchens gut, und die Mischung aus der Sardellenwürze und den winzigen Schalottenstückchen hatte auch eine gewisse verführerische Exotik. Jedenfalls begann ich den Zusammenhang zwischen Schnitzel und Sardelle besser zu verstehen, den ich bis dato für eine Erfindung teutonischer Kulturimperialisten gehalten hatte.

Die beiden übrigen Varianten zeigen, wie vielfältig der Begriff „‚Eingebröselte Schnitze“ übrigens interpretiert werden kann. Bei der Rahmversion werden die vorher mühevoll gebratenen Fleischstücke mit saurem Rahm aufgekocht und mit Hirnschnitten garniert. Das ließ ich aus. 

Bei der Knoblauchvariante musste ich Zwiebeln, Knoblauch und Petersilie klein hacken und in Butter anschwitzen, bevor ich das Fleisch darin wendete, bebröselte und briet. Dann jedoch dünstet man die fertig gebratenen Schnitzchen „mit etwas Suppe auf, damit eine kurze Sauce wird“. Das ergab etwas sehr Merkwürdiges, was ich zum letzten Mal so ähnlich auf einer burgenländischen Hochzeit gegessen hatte, wo der Kellnerin ein Kotelett in die Hochzeitssuppe gefallen war.

Was die eingebröselten Schnitze am markantesten von einem ehrgeizigen Wiener Schnitzel unterscheidet, ist natürlich die Panier. Das Fehlen von Mehl und Ei machte sich bei meinem Reihenversuch schmerzlich bemerkbar, ich suchte also nach historischem Fortschritt. Im „Koch- und Haushaltungsbuch der gut bürgerlichen Küche“ von Alice Urbach aus dem Jahr 1938 hat das „Wiener Schnitzel“ nur einen wenig glamourösen, fünfeinhalbzeiligen Auftritt – aber immerhin bereits unter diesem Namen und auf vertraute Weise. Im Kapitel „Kleinere Fleischspeisen“ taucht es gleichberechtigt zwischen „Hirnschnitzerl“, „eingemachtem Kalbfleisch“ und dem „Schnitzel à la Holstein“ auf, die Anweisungen lauten rudimentär: „Schöne Kalbschnitzel“ – von denen wir nicht mehr erfahren, dass sie zwischen zehn und zwölf Deka schwer sein sollten, ein, wie ich finde, gutes Format – „werden geklopft, gesalzen, in Mehl umgewendet, in leicht gesalzenem, zerklopftem Ei gedreht und in feinen Semmelbröseln gewälzt. In heißem Fett oder Öl herausbacken. Als Garnierung werden Zitronenscheiben verwendet.“ 

Die Legende des Wiener Schnitzels ist an dieser Stelle kein Thema, wir erfahren nur handfest Diätetisches: dass nämlich zehn Deka davon eine etwa „drei bis vierstündige Verweildauer im Magen“ haben. 

Da holt Küchenchef Franz Ruhm in seinem Klassiker „Perlen der Wiener Küche“ aus dem Jahr 1953 doch etwas weiter aus. Das Wiener Schnitzel sei „nicht zu Unrecht“ „von allen Wiener Speisen“ „am beliebtesten in der Welt“ geworden. Ruhm gibt so klare Anweisungen bei der Auswahl und Zurichtung des Rohmarterials, dass mich der Ehrgeiz packte, seinen Anweisungen eins zu eins zu folgen. Das Formatieren der Schnitzel – „vom ausgelösten Kalbsschlögel, und zwar am besten vom sogenannten Frikandeau, schneidet man bleistiftdicke rechteckige Schnitzel, die aus zwei zusammenhängenden Teilen bestehen. Das Fleisch wird nur soviel geklopft, dass es eine gleichmäßige Dicke von drei bis vier Millimeter erhält, worauf man die feinen Hautränder an einigen Stellen durchschneidet, damit sich Fleisch beim Backen nicht zusammenzieht“ – überließ ich dem Metzger, das Klopfen übernahm ich selbst – mit dem Boden eines Whiskeyglases. was die rechteckige Form etwas verwässerte. Meine Nachbarn gewannen in den folgenden Wochen übrigens den Eindruck, dass ich meine Küche umbaue. Sie betrachteten mich im Stiegenhaus mit aufrichtigem Mitleid.

Eigenwillig, aber nicht uninteressant, ist Ruhms Anleitung, die Panier zuzubereiten. Neben dem Mehl, durch welches das Schnitzel gezogen wird, kommt eine Mischung aus einem ganzen Ei, einer „halben Eischale“ – ich verstand das als die Schale eines halben Eis – voll Wasser oder Milch (ich entschied mich für Milch) und einem Kaffeelöffel Öl zum Einsatz, die mit der Gabel kurz verschlagen wird. Diese Mischung sorgte eindeutig für eine etwas dickere, fluffigere Panade, für die natürlich auch die üblichen Semmelbrösel zum Einsatz kamen.

Die weiteren Anweisungen sind militärisch. In der „passenden Backpfanne“ wird „mindestens daumendick Schweinefett so heiß“ erhitzt, „dass eine durch Wasser gezogene Gabel darin ein kräftiges Zischen verursacht.“ Die Schnitzel sollen etwa eineinhalb Minuten „schwimmen“, bis sie unten goldgelb sind, dann werden sie umgedreht, fertig gebacken, dann „vom Fett gehoben“ und „trocken angerichtet“. Als Garnitur kommt – die fünfziger Jahre verlangen nach ein bisschen Farbe – ein Sträußchen Petersilie und eine Zitronenscheibe zum Einsatz.

Das Ergebnis war gut. Die Panade ging schön auf, warf Falten und entwickelte die erwünschte, knusprige Geschmeidigkeit. Das Fleisch fand ich etwas dünn, daher auch tendenziell trocken. Der Duft nach Schmalz hing zwar wie ein Herbstnebel in der Küche, beeinträchtigte den Geschmack des Schnitzels aber keineswegs. Nur die Veganer im Haushalt beschwerten sich über das Gemetzel. 

Als Beilage sieht Küchenchef Ruhm übrigens nur einen Grünen Salat vor, oder aber diesen über alle Zweifel erhabenen Gurkensalat: „Für vier Portionen werden ein Kilogramm feste, frische Salatgurken geschält und auf dem Gurkenhobel feinblättrig geschnitten. Diese Gurken mischt man mit dem notwendigen Salz, einer Prise gemahlenem weißen Pfeffer, ein wenig Zucker und mildem Weinessig nach Bedarf ab. Der in einer Schüssel angerichtete Salat wird je Portion mit einem knappen Esslöffel Öl betropft und mit ein wenig rotem gemahlenem Paprika und fein geschnittenem Schnittlauch bestreut.“

Da applaudierten auch die Veganer, die sich dazu ein Stück Halloumi oder so etwas herausbuken, unvorsichtigerweise im Schnitzelöl. Ich sagte nichts.

Zurück zum Urmeter der Schnitzelrezepte, zu Plachutta-Wagners „Die Gute Küche“. Die Ruhm-Version hatte sich ziemlich vertraut angefühlt, aber Plachutta-Wagner wollen es noch ein Alzerl genauer wissen. Sie nehmen Ruhms Anleitung, die Ränder des „mit Einfach- oder Klappschnitt portionierten Schnitzels“ einzuschneiden auf, empfehlen für das Plattieren – ich als „Souffleur“ ziehe diesen Ausdruck dem ordinären Klopfen natürlich vor – Klarsichtfolie, um die Oberfläche des Fleisches nicht zu verletzen. Während Ruhm die Stärke des Schnitzels auf drei bis vier Millimeter bemisst, plädieren Plachutta-Wagner für sechs, eine Meinung, der ich mich überzeugt anschließe. Das Bemehlen und durch das verschlagene Ei (ohne Öl und Milch!) Ziehen wie gehabt, aber zum Bebröseln kommt noch die entscheidende Information dazu, die mir schon längst in Fleisch und Blut übergegangen ist, nachdem mir die famose Gerti Sodoma einmal persönlich gezeigt hatte, wie sie gemeint ist: „Brösel zart andrücken“, also mit der Handfläche dafür sorgen, dass die Panade einen Grad an Kompaktheit gewinnt, der sich wenig später bezahlt macht – wenn nämlich „unter wiederholtem Schwingen der Pfanne“ die Schnitzel im Fett gebräunt werden. Es wäre übrigens nicht Christoph Wagner, wenn er die Farbe des perfekten Schnitzels nicht kulturhistorisch zu spezifizieren wüsste: „Auch wenn die Brösel heute nicht mehr, wie einst in Konstantinopel und Mailand, aus Blattgold sind, so müssen sie doch goldbraun glänzen.“ Die Fettfrage wird übrigens überraschend indifferent behandelt: Öl oder Butterschmalz. Das klassische Schweinefett wurde unverschämt wegmodernisiert.

Das Schnitzel gelang, dank der beiden für mich wichtigsten Zusatzhandgriffe: Brösel zart andrücken. Pfanne schwingen. Für die Beilagen haben Plachutta-Wagner erstaunlich wenig Interesse. Sie empfehlen Erdäpfel-, Gurken-, Tomaten (sic!)-, Mayonnaise- oder Blattsalat, Petersilienerdäpfel – also praktisch alles. Gerade, dass keine Pommes frites zugelassen sind (hallo Schweiz!) oder Preiselbeeren empfohlen werden (hallo überall sonst). Allerdings fehlt mir schmerzlich der Butterreis, den es bei meiner Großmutter immer zum Schnitzel gab, den ich als klassische Beilage aber in keiner Quelle entdecken kann (wie übrigens auch die Preiselbeeren nicht). Die Oma wird sich das wohl nicht selbst ausgedacht haben…

Ich suchte neue Perspektiven. Ich brauchte weitere Quellen. Ein kluger Verbündeter überließ mir das unbezahlbare Buch „The Art of Viennese Cooking“ von Marcia Colman Morton, der Frau des emigrierten Wieners Fritz Mandelbaum, der als Frederic Morton in Amerika zum Bestsellerautor geworden war (und eines der berührendsten Wien-Bücher ever, „A Nervous Splendor: Vienna, 1888–1889“, geschrieben hat, das nur nebenbei). Marcia Colman Morton beschreibt 1963 in ihrem Buch, dass sie durch die strenge Hand ihrer Schwiegermutter Rosl „in the world of Schnitzel and Strudl“ eingeführt worden sei – und dass sich ihr Gatte, den sie liebevoll „Fritzl“ nennt – hmmm –, ihren eigenen Versuchen „with mysterious good humor“ gefolgt sei. Ich persönlich möchte mir ja lieber keinen kulinarischen Begleiter vorstellen, der meine Gerichte am Esstisch mysteriös grinsend in Augenschein nimmt, aber da bin ich vielleicht heikel. 

Jedenfalls liefert Marcia neben den zu erwartenden Superlativen – „the Wiener Schnitzel is the star among veal cutlets“ – auch handfeste Informationen. Die Eier für die Panier verlängert sie mit Milch, die Brösel werden mit dem Handballen angedrückt. Sie bemüht zwar eine anonyme Quelle, als sie in der Fettfrage eine Mischung aus „halb Schmalz, halb Öl“ empfiehlt, aber gut ist der Tipp allemal: das schmalzige Tiefdruckgebiet in meiner Küche entspannte sich, der Fluff-Effekt blieb. Nur dem kulturellen Kontext – Marcia Colman Mortons Buch wendet sich schließlich an amerikanische Feinspitze – sind die strikten Don’ts geschuldet, welche die Do’s flanieren: Das Aufwärmen eines Schnitzels „is practically a federal offence“, die Verwendung von Ketchup „is also verboten“. Erlaubte Beilagen: Erdäpfel- oder Gurkensalat.

Etwas weiter holt die britische Kochbuchautorin Rosl Philpot in ihrem nahezu gleichzeitig erschienenen Buch „Viennese Cookery“ (1965) aus. Sie hat sichtlich Spaß an historischen Mutmaßungen – zu den üblichen Schnitzel-Importstorys aus Mailand oder Spanien trägt sie auch die Legende bei, ein türkischer Belagerer im Jahr 1683 habe die Wiener das Panieren gelehrt –, hat aber vor allem auch ein Stimmungsbild im Angebot, das mir als gewerbsmäßigem Klopfgeist sofort ein schlechtes Gewissen einjagt. Rosl Philpot erzählt von einer Walisischen Freundin, die in Wien in der Zwischenkriegszeit Englisch lehrte und wochentags vom Teppichklopfen der Hausfrauen bis aufs Blut genervt war. Als sie am Wochenende glaubte, nun endlich ihre Ruhe zu haben, begann der Wirbel erst recht von Neuem: Aus sämtlichen Küchen der Nachbarschaft hörte sie plötzlich das Stakkato des Schnitzelklopfens. Zur Veranschaulichung hebt Philpot sogar das Corpus Delicti, einen illustrierten Fleischhammer, ins Buch.

Folgende nützliche Informationen hat Philpot eingesammelt: Niemals den Metzger das Fleisch klopfen lassen, sondern, Lärm hin oder her, selber hämmern. Niemals auf Vorrat panieren, sondern à  la minute. Schnitzel ausschließlich im Schweineschmalz herausbacken, das 1,25 Zentimeter hoch in der Pfanne steht. Niemals länger als fünf Minuten lang. Küchenpapier verwenden, um des überschüssigen Fetts Herr zu werden. Keine Garnituren wie Sardellenfilets, Eierspalten oder Kapern verwenden – wie das bei der angeblich französischen Version der „Escaloppes de Veau Viennois“ im „Sixty Minutes Gourmet“-Buch der „New York Times“ warm empfohlen wird – und, „please, no sauce.“

Außerdem warnt die einfühlsame Rosl Philpot davor, eine durchaus einfache Speise wie das Wiener Schnitzel nicht zu unterschätzen. Man möge lieber davon Abstand nehmen, eine Dinnerparty für acht Gäste mit frischen Schnitzeln bestücken zu wollen. Vielleicht, so Philpot, die als Zielgruppe ausschließlich eher elegante Köchinnen vor Augen hatte, könne man ja noch das Kleine Schwarze unbeschadet aus der Küche bringen, die frisch manikürten Fingernägel schonen und eine ausreichend große Pfanne anschaffen, in der sämtliche Schnitzel Platz finden. Aber, fragt Sie mit pädagogischer Rhetorik, wollen Sie wirklich wie ein Punk nach Fett riechen? Just because: „Frying is a smelly process“.

Apropos Fett, Philpot sortiert Alternativen. Zwar befindet sie, dass das wirklich originale Schnitzel nach Schweineschmalz verlangt, aber Erdnussöl sei eine plausible Option. Allerdings bringt sie interessanterweise auch eine viel grundsätzlichere Abweichung von der reinen Lehre ins Spiel. „Notfalls“, schreibt sie, könne man ja das Kalbfleisch gegen Schwein eintauschen: „Ich wette, Ihre Gäste werden’s nicht merken.“

Ich probierte also auch das Schwein und folgte dabei weiterführenden Empfehlungen des Kärntner Weltkochs Wolfgang Puck, der in der „Chicago Tribune“ eine Lanze für das Schweinsschnitzel bricht: Der Gründer des legendären „Spago“ empfiehlt dafür entweder Schweinslungenbraten oder Schweinsnacken, und weil ich beim „Grünauer“ in Wien Neubau immer wieder so köstliche, panierte Schweinsfledermaus bekomme, lasse ich mir vom Metzger auch noch besagtes Stück vom Kreuzbein, der Innenseite des Schweinsschlögels schneiden.

Puck empfiehlt, das Fleisch bis auf sechs Millimeter platt zu klopfen – er bedient sich dabei der Plachutta-Wagner-Methode zwischen den Plastikfolien – und verwendet dafür die flache Seite des Fleischhammers. 

Tock. Tock. Ich klopfe schon wieder. Die Nachbarn leiden. Ansonsten folge ich den üblichen Handgriffen und souffliere im Erdnussöl, Pucks Empfehlung, drei wirklich gute Schnitzel, die eindeutig saftiger, wenn auch von der Textur etwas straffer sind als die meisten Kalbsschnitzel aus dieser Versuchsreihe. Interessanterweise schmeckt mir der Schweinsnacken am besten, knapp vor der Fledermaus, die wegen des spezifischen Fetteinschlusses am meisten Eigengeschmack ausprägt. Der Lungenbraten ist vom Kalbsschnitzel dann tatsächlich kaum zu unterscheiden, eine interessante Demonstration dafür, dass Geschmack umso beliebter ist, je weniger Charakter er hat.

Die Panier der drei Schweinsschnitzel ist natürlich so gut abgetropft, dass der Scherz, mit dem Puck seine Story in der „Tribune“ beschließt, ohne Weiteres auf die Probe gestellt werden könnte: „Ein Herr sollte sich in seiner besten Anzugshose auf das Schnitzel setzen können, ohne dass dieses Spuren hinterlässt.“ Allerdings schickt er, typisch Amerika, die Warnung nach, dass man den Stunt vielleicht doch nicht in echt probieren sollte. Puck kennt seine Pappenheimer und ihre Neigung zu Schadenersatzforderungen. Schließlich muss ja auch Starbuck’s davor warnen, dass der Kaffee heiß ist.

Ich bin erstaunt, wie gut die Schweinsschnitzel geschmeckt haben – und ein bisschen beleidigt: Ich hatte gedacht, der halblustige Witz mit der Anzughose wäre mir eingefallen, nicht Puck. Schon wieder eine Illusion, einfach zerplatzt. Ach ja, Puck empfiehlt lauwarmen Erdäpfelsalat zum Schweinsschnitzel. Wir kommen der Sache, wie ich finde, schon ziemlich nahe.

Bei meiner Lieblingsautorin Felicity Cloake im „Guardian“ erfahre ich gleich darauf, dass es Wiener Restaurants gibt, die ihre Schnitzel „so dünn wie möglich“ ausklopfen, damit sie auf dem Teller einen „Durchmesser von dreißig Zentimeter“ erreichen. Auch New Yorks Paradeösterreicher Kurt Gutenbrunner („Wallsé“, „Café Sabarsky“) äußert sich ähnlich. Er bemisst die Höhe des optimalen Schnitzelfleischstücks auf drei Millimeter. Cloake selbst, die in ihrer Kolumne meist mit untrüglichem Instinkt richtige von falschen Rezepten trennt, folgt dieser Einschätzung und empfiehlt, das Schnitzel so dünn wie möglich zu plattieren – wir sollen nur aufpassen, dass wir das Fleisch nicht „in ein Spinnennetz“ verwandeln.

 Weil ich ein pflichtbewusster Protestant bin, ruiniere ich wider besseres Wissen ein kleines Stück vom Fricandeau, indem ich es – tock, tock, tock, tock, tock, tock, tock – tatsächlich auf Kuhfellformat zurichte, fast hätte es nicht in die Pfanne gepasst. Wie es schmeckte? Natürlich so, als hätte ich ein Taschentuch von der „Schwäbischen Jungfrau“ paniert. Aber das war unvermeidlich: Das Verhältnis von Panier zu Fleisch stimmt nicht mehr – und man muß schon ein großer Verfechter günstigen Wareneinsatzes sein, wenn man dieses Vorgehen nicht nur in Kauf nimmt, sondern zu seinem Credo macht und dann auch noch laut darüber spricht.

Übrigens taucht auch bei Cloake der alte Schmäh mit der Anzughose auf. Diesmal wird er nicht Wolfgang Puck zugeschrieben, sondern dem Autor Joseph Wechsberg, einem mährischen Juden, der 1938 in die USA emigriert war und kulinarische Feuilletons für den „New Yorker“ und „Esquire“ schrieb. Nachdem ich zwei von Wechsbergs überaus lohnenden „Letters from Vienna“ aus den fünfziger Jahren im „New Yorker“-Archiv gelesen habe, neige ich der Meinung zu, dass doch nicht ich die Story erfunden habe – Wolfgang Puck aber bitte auch nicht.

Cloake hat weiterführende Anmerkungen zur Panier. Sie findet Gefallen an Kurt Gutenbrunners Trick, etwas Schlagobers zum Ei zu geben, verwirft aber kühne Aromatisierungen, wie sie zum Beispiel Melissa Clarke von der „New York Times“ ins Spiel bringt. Clarke würzt die Panier mit Cayennepfeffer und Muskatnuss. Probierte ich auch aus: schmeckt, sorry, nach frittierten Krabben aus einer pseudoindischen Garküche.

Damit nähern wir uns unvermeidlich einem dunklen Kapitel der Schnitzelherstellung: dem Frittieren. Es dürfte in der Schnitzelgastronomie die gängige Praxis sein, und damit meine ich nicht nur „Schnitzeleck“ und „Pizzakebapschnitzel“. Im Londoner Restaurant „Boopshis“ – Untertitel: „Schnitzel & Spritz“, einer durchaus gehobenen Hütte)  – wird das Schnitzel stolz in die Fritteuse geworfen, weil es auf diese Weise knusprig wie sonst nie wird.

Natürlich ist das nicht der Punkt. Wer etwas Knuspriges essen will, soll sich eine Familienpackung „Pringle’s“ besorgen. Auch Felicity Cloake lehnt die Methode also folgerichtig ab, was mir eine plausible Ausrede dafür besorgt, mir nach dem Fleischhammer nicht auch noch eine Fritteuse besorgen zu müssen. Cloake plädiert schließlich für das Herausbacken in Ghee, weil sie den Buttergeschmack essentiell findet. Denkbar, aber nicht alternativlos. Nach wie vor halte ich die Mischung von Schmalz und Öl für überzeugend.

Es brauchte einen ausgewiesenen Sternekoch, um das Um und Auf der Wiener-Schnitzel-Produktion endlich angemessen in Worte zu fassen. In ihrem Buch „East of Paris. The New Cuisines of Austria and the Danube Ecco“ fassen Mario Lohninger und David Bouley vom legendären New Yorker „Danube“ die Schnitzel-Geschichte respektvoll, traditionsbewusst, aber mit dem Gefühl für die richtigen Details zusammen. 

Das beginnt mit den veredelten Beilagen – der Gurkensalat wird mit einer Marinade aus Sauerrahm, Crème fraîche, Champagneressig, Kümmel und Dill angemacht; der Kartoffelsalat mit La Ratte-Erdäpfeln, Kümmel, Dijonsenf, Chamagneressig, Rapsöl und hellem Kalbsfond. Aber vor allem das Schnitzelrezept ist nahezu perfekt. 

Zwar werden die Kalbsschnitzel für meinen Geschmack einmal mehr zu dünn geklopft – nämlich auf drei Millimeter –, dafür stimmt alles andere. Aus einem halben Kilo Kalbslende schneidet Lohninger acht etwa sechzig Gramm leichte Medaillons, die anschließend plattiert, bemehlt, durchs verquirlte Ei gezogen und paniert werden – auch hier mit dem unabdingbaren, sanften Druck des Handballens, der die Panier festigt und sichert. 

Die Schnitzel sind kleiner als sonst. Beim Fett für die Pfanne wählt Lohninger Rapsöl, das bloß sechs Millimeter hoch in die vorgeheizte, heiße Pfanne gegossen wird. Sobald es zischt, kommen die Schnitzel hinein, werden „unter ständigem Vor und Zurück der Pfanne auf dem Herd“ je drei Minuten lang gebacken, bis ihre Panier das obligate Goldbraun angenommen hat.

Die wichtigste Information aber schießt der Gastrounternehmer David Bouley, der damalige Betreiber des „Danube“, in seinem Begleitwort nach. Der entscheidende Punkt bei der Herstellung des Schnitzels sei die Mechanik des Bratens. Es müsse genug Öl in der Pfanne sein, um im Moment, wenn wir die Pfanne zu bewegen beginnen, wie eine Sturmflut über die Schnitzel hereinbrechen zu können. Diese Wellen finden sich später in der Textur der Panier wieder. Die Panier – und jetzt verwendet Bouley das erlösende Wort – müsse aufgehen wie ein „Soufflé“. 

Die richtige Methode, ein Schnitzel zu braten, ist also eher ein zartes Soufflieren als ein grobes Herausbacken. Darin besteht die Kunst. Ein Schnitzel kann auf unzählige Weisen falsch zubereitet werden – aber nur auf eine Weise richtig. 

Bouley flüstert es, ich stimme in sein Flüstern ein. Er ist mein Souffleur – und ich souffliere für immer, als hätte ich’s erfunden.

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