Die mythologische Transformation
Quart: Wann haben Sie als kulturaffiner Winzer begriffen, dass Wein mehr ist als ein simples Genussmittel?
Roland Velich: Das hat damit begonnen, dass ich über meinen Kulturbegriff nachgedacht habe. Ich musste natürlich zuerst begreifen, dass Kultur weit über das hinausgeht, was auf den sogenannten Kulturseiten vorkommt: Kunst, Literatur, Musik. Für mich ist Kultur – ich verwende eine Analogie – der Versuch, aus einem groben Block etwas Feines, Ziseliertes herauszuhauen.
Sie meinen damit nicht Bildhauerei im engeren Sinn.
Natürlich nicht. Das kann der Versuch sein, eine Maispflanze zu veredeln, für einen Getreidehalm Verwendung zu finden, so dass man damit die Menschheit ernähren kann – oder eben auch einer wilden Pflanze, die Früchte trug, diese abzunehmen und zu vergären. Als Burgenländer stelle ich mir natürlich einen pannonischen Nomaden vor, der diese Früchte gekostet hat und auf die Idee kam, sie zu veredeln und in Flaschen zu füllen….
…was zweifellos eine Erfindung, also eine Kulturleistung ihrerseits ist.
Eine Legende, nennen wir es eine Legende. Sie kann richtig sein oder auch nicht.
Sie kommen aus einer Familie, die im Seewinkel Wein gemacht hat, haben aber vorerst einen anderen Berufsweg eingeschlagen. Matura, Studium, Job, bevor Sie doch zum Weinmachen zurückgekehrt sind. Wie ging das?
In meiner Jugend konnte ich der Arbeit im Weinberg nicht viel abgewinnen. Ich hatte nach meiner Matura noch keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen soll, probierte verschiedene Studienrichtungen aus, ohne ein Studium abzuschließen, gründete jung eine Familie und musste mich darum kümmern, wie ich diese Familie ernähren soll. Damals heuerte ich als Croupier im Casino an. Gleichzeitig begann ich mich immer mehr für Wein zu interessieren.
Wenn auch nicht im Burgenland.
Nein, das begann originellerweise in Kalifornien. Ich war 1986 im Napa Valley, wo ich in eine so interessante Unterhaltung über Wein einsteigen konnte, dass mich das Thema immer mehr zu faszinieren begann. Ich war vorher schon in der Toscana und im Bordeaux gewesen, hatte die Schönheit der Weinbaugebiete erkannt und begann darüber nachzudenken, dass wir solche Gebiete ja auch zu Hause hatten, nur unter ganz anderen Vorzeichen. So hat sich meine Nähe zum Wein entwickelt.
Ausgehend vom Landschaftsbild.
Landschaft, Geruch, vielleicht auch mit dem sehr speziellen Charisma des burgenländischen Seewinkels. Dort, wo die Welt gegen Osten hin flach wird. Da stellte sich mir irgendwann die sympathische Frage, warum ich nicht aus dieser Landschaft schöpfen sollte, um mein Leben zu gestalten.
Wahrscheinlich war, was ich mit Moric begann, einfach gegen den Strom gebürstet, gegen die Idee von Wein, die in Österreich den Markt bestimmt hat.
Wie gelang es Ihnen, so ein klares Bild von Wein zu entwickeln, das später zur Grundlage Ihres außerordentlichen Erfolgs als Winzer wurde? Sie haben schon, als sie noch am elterlichen Weingut Experimente machten, Weine gekeltert, die nichts mit dem herkömmlichen Geschmacksbild der Region zu tun hatte.
Meine Suche nach Geschmacksbildern von Wein hat mich zuerst in viele Weinbauregionen geführt, allen voran nach Burgund und ins Piemont. Das waren Regionen, die unserer Typizität näher waren als das Bordeaux, das damals – Mitte der Achtzigerjahre – zum Vorbild vieler österreichischer Winzer wurde, obwohl es überhaupt keinen Bezug zu uns hat: Aristokratisch, großbürgerlich, fast oligarchische Strukturen, Schlösser, Besitztümer. Das gefiel mir nicht, ich fühlte mich in Burgund und Piemont viel wohler.
Was haben Sie von dort mitgenommen?
Die Tatsache, dass die Menschen das Ihrige sehr hochhalten. Dass sie versuchen, etwas zu machen, was absolut eigenständig ist: mit eigenen Rebsorten und einem eigenständigen Ausbau des Weins. Das waren Versatzstücke, von denen ich mir sicher war, dass ich sie übernehmen kann: um damit auch zu Hause in unserem Weinbaugebiet etwas herzustellen, was diese Herkunft optimal ausdrückt. Um burgenländische Originale zu schaffen. Das stand am Anfang.
Ihr erster großer Erfolg war ein Chardonnay aus dem Seewinkel namens Tiglat.
Zufall. Mein Vater hatte in den Sechzigerjahren Weißburgunder ausgepflanzt, der sich später als Chardonnay erwies. Chardonnay ist auch die weiße Hauptrebsorte im Burgund. Ich bestellte also ein paar Holzfässer und probierte herum. Der Erleuchtungswein war dann interessanterweise ein Chardonnay, der im großen Fass ausgebaut wurde, mit gelben und weißen Fruchtaromen, den ich unheimlich sexy fand. Der Wein hatte etwas unglaublich Eindringliches, Eigenständiges.
Woher kam das?
Schon mein Vater hatte die Weine spontan vergoren, also keine künstlichen Hefen zugesetzt, um die Gärung zu kontrollieren. Im kulturellen Prozess des Weinmachens ist das die Methode, die ausschließlich auf Vorhandenes zurückgreift und daher einen idealen Ausdruck der Herkunft ermöglicht. Das war nichts Neues, so hatten alle Winzer im Seewinkel gearbeitet. Und nicht nur sie: So war tausende Jahre lang Weinbau betrieben worden: ohne systemische Spritzmittel, ohne Reinzuchthefen.
Sie haben sich dafür entschieden, es auch so zu machen, obwohl längst eine ganze Industrie entstanden war, um die Verwandlung der Traube zu Wein zu vereinfachen und zu begleiten.
Natürlich. Es gehört ja zum Faszinierendsten der Weinkultur, dass der Saft, den man aus der Traube quetscht, ganz allein zu Wein vergärt. Alles, was die Traube für diese mythologisch behaftete Transformation braucht, ist in ihr selbst enthalten, jede einzelne Information. Die Industrie hat sich da historisch gesehen erst sehr spät eingemischt. Sie hat vieles einfacher, kontrollierbarer gemacht – aber eben auch langweiliger und eindimensionaler.
Der Chardonnay, den Sie damals gemacht hatten, war das alles nicht.
Nein. Ich habe das Flirren dieses Weins noch immer in einer sensorischen Schublade meiner Erinnerung. Und erst kürzlich haben mich ein paar Weißweine des Jahrgangs 23 daran erinnert, auch wenn sie ganz woanders her stammen. Nicht bewusst, nicht rational, aber tief drinnen im Schatzkästchen meiner Emotionen.
Sie hatten mit den ersten Weinen aus dem Seewinkel für Aufsehen gesorgt, weil sie aus der Masse österreichischen Weins herausstachen. Hat Sie das motiviert, tiefer zu gehen, weiterzuforschen und sich beherzt und auch hauptberuflich dem Weinmachen zu widmen?
Ich war auf jeden Fall schon damals auf der Suche nach kultureller Identität, hatte den Wunsch, in einem Land und aus einem Land leben zu wollen, sozusagen bei mir selbst sein zu dürfen. Das hat sich immer mehr als roter Faden in meinem Leben herausgeschält.
Sie begannen, Rotwein zu machen: Blaufränkisch. Was hat Sie dazu bewogen, sich ausschließlich dieser Rebsorte zu widmen?
Auch wenn wir im Burgenland in einem Land leben, das kaum Geschichte hat, weil es bekanntlich erst 1921 zu Österreich kam, hatte die Blaufränkisch-Traube durchaus Geschichte. Sensorisch war Blaufränkisch sowieso das Spannendste. Ich sah von Anfang an Parallelen zur großen Sorte des Piemont, Nebbiolo, und des Burgund, Pinot Noir. Nicht unbedingt geschmacklich, aber charakterlich. Und es gab nach dem Weinskandal…
…der die gesamte österreichische Weinwirtschaft sozusagen auf Null zurücksetzte…
…einzelne Winzer, die schon sehr gute Blaufränkisch machten. Aber dann passierte etwas, was wiederum unserer Geschichtslosigkeit, unserer Kleinheit und Städtelosigkeit geschuldet war: Die burgenländischen Winzer begannen wieder einmal das zu machen, von dem sie glaubten, dass die anderen es von ihnen erwarten.
Worin bestand diese Fremdsteuerung?
Im Hinterherlaufen hinter dem Markt, glaube ich. Jedenfalls nicht im Besinnen auf das, was uns ausmacht. Und Blaufränkisch ist eine Rebsorte, die uns ausmacht. Blaufränkisch hat sogar seine Stellung in dem bisschen Geschichte, die uns geblieben und nicht lost-in-translation ist. Und das ist ein Wunder im Gewirr der österreichisch-ungarischen Trennung, dem Hochziehen des Eisernen Vorhangs, krasser Umsiedelungspolitik auf der ungarischen Seite, denn da ist wirklich sehr, sehr viel Wertvolles verloren gegangen. Es gab für Blaufränkisch Goldmedaillen in Paris, die Weine tauchten in ganz Europa auf den Weinkarten auf. Und nach dem Weinskandal machte ein Wein aus dem Ruster Hügelland Furore, der hundert Prozent Blaufränkisch war.
Ernst Triebaumers „Marienthal 1986“.
Ja. Aber was dann passierte, war paradox. Nicht, dass die burgenländischen Winzer die Ärmel aufgekrempelt und Blaufränkisch gemacht hätten. Es entstand eine Sintflut an international geprägten Cuvées nach dem Vorbild des Bordeaux oder der Toskana, die rein gar nichts mit dem Kern des vermeintlichen „Rotweinwunders“ gemeinsam hatten.
Sie haben das damals mehr oder weniger in Echtzeit thematisiert.
Und wurde prompt als Nestbeschmutzer beschimpft. Dabei wollte ich nur einen Diskurs darüber führen, was uns ausmacht. Die Dinge wurden einfach nicht so gesehen, wie ich sie sah. Vielleicht habe aber auch ich mich nicht klar genug ausgedrückt.
Das wage ich zu bezweifeln. Woran liegt denn das Bedürfnis des Burgenlands, anderen nachzueifern und sich nicht auf eigene Stärken zu besinnen, Ihrer Meinung nach?
Wir Burgenländer sind ganz rasch von Österreich kolonialisiert worden. Das belegen zum Beispiel die Zahlen zum Thema Grüner Veltliner. Den hatte es, bevor das Burgenland zu Österreich kam, überhaupt nicht gegeben, und wenig später war er die meistgepflanzte Weinsorte im ganzen Land. Bis heute ist der Veltliner die am meisten verbreitete weiße Rebsorte im Burgenland, was nur ganz wenige wissen, weil es kaum bekannte Veltliner aus dem Burgenland gibt, nur Billigweine und Traubenproduktion für Großwinzer anderswo.
Der Rotwein wurde aber schon dem Burgenland zugestanden.
Gnädigerweise. Aber damit ist es nicht getan. Auch als die deutsche Süssweinmode aufkam, wurde im ganzen Land darauf reagiert, und es gab überall Trockenbeerenauslesen, Spätlesen, die in Deutschland sogar wirtschaftlich ziemlich erfolgreich waren – und direkt in den Weinskandal führte, wie wir wissen. Nach dem Weinskandal orientierten wir uns dann wieder an den Supertoskanern und Bordeauxs und jetzt, auf dem Zenit der Naturweinwelle, pflanzen manche Winzer Savagnin, eine beliebte Rebsorte aus dem Jura, und halten das für das Gelbe vom Ei.
Ich höre leise Kritik Ihrerseits.
Natürlich, denn niemand sieht, dass wir schon wieder reflexartig dasselbe machen wie vor Jahrzehnten. Wir laufen dem Markt hinterher statt uns selbst zu betrachten und die Frage zu stellen: Wo komm ich her, wer bin ich, wo will ich hin.
Das wiederum ist der Weg, für den Sie sich entschieden haben.
Zum Glück nicht nur ich. Wir exportieren inzwischen in 40 Länder. Ich war gerade in London und habe dort wieder versichert bekommen, dass die einzigartige Herkunft unserer autochthonen Rebsorte Blaufränkisch genau das ist, was die Menschen suchen. Sie interessieren sich nicht für Cabernet-Merlot-Cuvees im neuen Holz aus dem Burgenland, sondern für Unverwechselbarkeit, die wir nur mit dieser Rebsorte und unseren Böden und klimatischen Bedingungen herstellen können.
Sie haben dieser Rebsorte auch nachgeforscht und sind auf zahlreiche Spuren Ihrer Geschichte gestoßen.
Natürlich. Blaufränkisch war eine der besten, bekanntesten und teuersten Rebsorten der Welt, bevor das Anbaugebiet zerrissen und teilweise marginalisiert wurde, durch Kolchosen und Fünfjahrespläne zum Beispiel. Wenn die Politik auslässt, kollabiert Kultur immer. Wir verfügen im Burgenland über das westliche Ende dieser Region, und wir müssen uns darum bemühen, an diese alte Kultur wieder anzuschließen.
Sie gründeten 2001 Ihr Weingut „Moric“ und kelterten von Anfang an großartige Blaufränkisch. Die wurden in Österreich allerdings weit weniger wahrgenommen als im Ausland, wo sie bald Höchstbewertungen und euphorische Kritiken einheimsten. Was ist da genau passiert?
Ich könnte sagen: Der Prophet im eigenen Land….aber da ich mich nicht als Propheten sehe, kommt das nicht in Frage. Wahrscheinlich war, was ich mit Moric begann, einfach gegen den Strom gebürstet, gegen die Idee von Wein, die in Österreich den Markt bestimmt hat. Letztlich bieten wir Winzer dem Markt etwas an, und der Markt reagiert darauf. Und auf dem Markt regierten eben die Musikantenstadlweine: Weine, die jeder versteht. Etwas limonadenhaft, süss, eingängig.
Wie würden Sie Ihre eigenen Weine dagegen beschreiben?
Natürlich komplexer, wenn auch geradlinig, sorgfältig gemacht und durchaus verständlich, wenn man ihnen einen Moment an Aufmerksamkeit zuteil werden lässt. Das ist doch bei den Goldberg-Variationen auch so: Man braucht Zeit, um sich ihnen zu widmen. Und wird dafür immens reich belohnt. Man schult seine Sinne. Und das ist beim Weintrinken nicht anders.
Wann waren Sie sicher, dass der Weg, den Sie eingeschlagen hatten, der richtige war?
Ich hoffe, ich bin eines Tages wirklich sicher. Nein, im Ernst: Die Faszination, mit der ich in meinem Land Wein mache, nimmt eher zu als ab. Die Bestätigung für unsere Arbeit, die vielstimmig war und ist, vor allem international, hat mir gezeigt, dass ich so falsch nicht liegen kann. Es waren schließlich die wichtigsten Weinkritiker der Welt, die unseren Weinen hohe Qualität beigemessen haben, und die uns bis heute mit Begeisterung folgen. Das war schon eine ganz große Motivation. Irgendwann hat sich dann auch die eine oder andere Flasche verkauft, das war auch ganz hilfreich. Und das, was wir an Gewinnen erzielt haben, investierten wir sofort weiter in neue Projekte, die aber immer derselben Maxime folgen: ein idealer Ausdruck ihrer Herkunft zu sein.
Sie haben zuerst spezielle Orte im Burgenland ausgemacht, deren Herkunft sie interessiert hat, Dann sind Sie auch über die Grenze gegangen und haben in ungarischen Weinregionen Projekte gestartet, in Somlo, am Balaton, in Tokaj.
Wir haben im Burgenland Trauben von sehr alten Rebstöcken gekauft, um damit Experimente zu machen, die wir sehr pur dargestellt haben. Von Neckenmarkt hat sich das immer mehr nach Lutzmannsburg verlagert, wo jetzt unser Zentrum ist und der Standort des Weinguts. Dort sind wir immer weiter in die Tiefe gegangen, haben einzelne Lagen vinifiziert, um das Terroir noch besser zu verstehen und zu erleben, wie die Traube diese Gegebenheiten übersetzt – was übrigens nur große Rebsorten vermögen. Darüber hinaus haben wir aber noch nach Möglichkeiten gesucht, noch größere Kreise zu ziehen: Das ist unser Hidden Treasures-Konzept, Kollaborationen mit Winzerinnen und Winzern in Österreich und Ungarn, deren Arbeit wir schätzen und mit denen gemeinsam wir spezielle Weine machen, die wir dann vermarkten.
Sie haben schon früh immer wieder die Gesellschaft von anderen Weinmacherinnen und Weinmachern im ganzen Land gesucht, um gemeinsam das Hohelied auf den Blaufränkisch zu singen und seine verschiedenen Ausdrucksformen nachzuvollziehen.
Auch das habe ich nicht erfunden. Es gab immer im Burgenland eine ganz natürliche Zuordnung. Man hat automatisch vom Lutzmannsburger, vom Neckenmarkter, Oggauer, St. Margarethner gesprochen, wenn man über unterschiedliche Weine sprach, und man kannte auch ihre Spezifikationen. Der Neckenmarkter eher würzig, der Golser kräftiger, weil sonniger, etc. Das ging dann in der Welle der Internationalisierung und Industrialisierung verloren. Die Weine wurden uniform, nicht nur im Burgenland, sondern weltweit. Erst viel später kam es zu einem Prozess der Rückbesinnung, der in manchen großen Weinregionen schon vollzogen ist, bei uns aber noch nicht: Wir stecken mittendrin.
Warum hinken wir hinterher?
Das hängt meiner Meinung nach mit Bewusstseinsbildung zusammen. Und die hat wiederum mit kultureller Kontinuität zu tun. Während zum Beispiel im Burgund Adel und Klerus das Terroir der Winzer beschützt haben und dafür sorgten, dass nur das Beste gepflanzt und geerntet wurde, gab es bei uns diese kulturelle Kontinuität nicht. Die Politik hat sich bei uns um keine einzige Facette der Weinkultur gekümmert.
Im Burgenland war das besonders schwierig, weil die historischen Beziehungen zerstört waren.
Unser Markt war immer nach Osten ausgerichtet. Das Zentrum des burgenländischen Weinhandels befand sich Jahrhunderte lang in Ödenburg, heute Sopron. Das war ein massiver kultureller Verlust. Der mündete in dieser Agonie, die dazu führte, dass wir wie beschrieben auf jeden Zug von außen aufgesprungen sind. Woher hätten wir auch Selbstbewusstsein schöpfen können: Wir wussten ja nicht einmal, was uns selbst ausmacht.
Sie haben sehr früh über die vor hundert Jahren gezogene Grenze nach Osten in die ehemals gemeinsame Kulturlandschaft geblickt. Woher kam dieses Interesse?
Ich wollte verstehen lernen. Ich wollte Nachschau halten, was von fast tausend Jahren gemeinsamer, ungarischer Weinkultur übrig ist. Wir sind ja gemeinsam sozialisiert worden. Wenn man von Eisenstadt nach Tokaj fährt, ist die Stimmung auf dieser Reise unglaublich ähnlich. Die Böden sind ähnlich in ihrer Kalksedimentation vom Pannonischen Meer, mit ein paar vulkanischen Spots dazwischen. Aber vor allem die Stimmung ist so frappierend ähnlich. Wenn du in Tokaj stehst, sieht es dort aus, wie wenn du vom Ödenburger Gebirge auf Neckenmarkt hinunterschaust. Die pannonische Region hat eine ganz, ganz starke Klammer.
Landschaftlich?
Landschaftlich, aber auch im Ausdruck der Weine. Es gibt zwei prägende Rebsorten: Furmint und Blaufränkisch. Das war in Ödenburg so, Eger war von Blaufränkisch, Tokaj von Furmint dominiert. Ähnlich war es bei uns. Um den Neusiedlersee von Weißwein geprägt, Rotwein im Mittelburgenland.
Sie haben an mehr oder weniger allen diesen Orten begonnen, selbst Wein zu machen. Was reizt Sie so daran?
Ich wollte einfach ausprobieren, zu welchen Ergebnissen ich komme, wenn ich ein paar Stellschrauben in der Produktion verändere: Verwendung von Trauben alter Reben, spezifische Klone, und dann im Keller möglichst viel zulassen, ohne einzugreifen. Möglichst viel Kolorit des jeweiligen Standorts einzufangen. Es braucht nicht allzu viel, damit die Weine magisch werden. Keine Schönungsmittel, keine Subtraktive, keine industriellen Beschleunigungsmittel. Zeit ist ein wesentlicher Faktor. Die Industrie verkürzt die Prozesse, schneidet aber auch viel Positives von den Weinen ab, von ihrer Substanz, von ihrer Seele.
Sie stehen jetzt zusammen mit einer neuen Generation von Winzerinnen und Winzern, die sich ganz offensichtlich an den Werten, die Sie definiert haben, orientieren. Wie kam es dazu?
Es ist für mich ein ganz großes Privileg, das Staffelholz weiterreichen zu können. Es gibt eben Menschen, die nicht ganz schlecht fanden, wie wir unsere Sache gemacht haben, und die diese Idee auf ihre eigene Art fortsetzen. Ich finde das fantastisch. Denn das bedeutet, dass die Kultur dessen, was wir machen, weitergeht, weiterentwickelt und verfeinert wird. Und dass sie sich vergrössert, verbreitert, potenziert. Für unsere Weinkultur ist das ganz, ganz toll. Ich freue mich auf diese Zukunft.