Großer Hunger, große Gefühle
Ich habe eine genaue Erinnerung daran, wann mich Essen das letzte Mal glücklich – nicht zufrieden, sondern dezidiert «glücklich» – gemacht hat. Es war in Istanbul, in diesem Frühjahr, als ich in Musa Dagdevirens Restaurant «Ciya Sofrasi» eine ganze Kaskade von Köstlichkeiten vorgesetzt bekam. Es gab İçli köfte, gebackene Bulgurkrapfen, die mit Nuss-Hackfleisch gefüllt waren, Lahmacun, eine hauchzarte, leicht angeschärfte türkische Pizza, eine Ezogelin Suppe, die aus Bulgur und roten Linsen zubereitet war, wundervolle Bohnen, eine hinreissende, leichte Lammsuppe mit geviertelten grünen Mandeln, Fıstıklı kebab, einen Hackfleischspiess mit Pistazien, Tavuk şiş, einen Spiess von mariniertem Hühnerfleisch, fantastischen Zahter salatası, Salat vom wilden Thymian, Humus, gefüllte Weinblätter und allerlei Desserts.
Ich kann selbst nur Vermutungen darüber anstellen, warum mich dieses Essen so tief im Innersten berührte. Es war wunderbar gekocht, klar. Aber ich habe in der Zwischenzeit oft genug bei virtuoseren Köchinnen und Köchen gegessen, an der Kochkunst allein kann es also nicht gelegen haben. Da ich das Ciya bereits kannte, waren meine Erwartungen hoch, ich durchquerte also schon positiv gestimmt die Tür des Restaurants. Dass die eigene Stimmung einen entscheidenden Anteil an der Wahrnehmung dessen, was man erlebt, ausmacht, hat der Experimentalpsychologe Charles Spence von der University of Oxford in seinem phänomenalen Buch «Gastrologik» nachgewiesen. Dass hohe Erwartungen aber auch zu umso grösseren Enttäuschungen führen können, ist uns aus eigener Erfahrung hinreichend bekannt. Die Tatsache, dass ich in bester Gesellschaft war, tat auch ihren Teil, Charles Spence zeigt sich «überzeugt, dass uns die Speisen und Getränke zumindest in angenehmer Gesellschaft tatsächlich besser schmecken».
Aber das Glücksgefühl kam daher, dass in mir eine Saite zum Schwingen gebracht wurde, die sich dafür nur ausgesprochen selten bereit erklärt. Das Essen auf der asiatischen Seite Istanbuls erzeugte in mir eine Art Heimatgefühl, auch wenn ich in Österreich und nicht in der Türkei gross geworden bin. Vielleicht lag es an der unkomplizierten Art zu kochen, an der Textur des Gemüses, an der subtilen Art des Würzens. Ich fühlte mich so wie der demente Dad von Dolly Aldertons Heldin Nina George Dean aus dem Roman «Gespenster», dem seine Tochter eine Banane klein schneidet und eine halbe Dose Kondensmilch darüber giesst: «Ich reichte ihm einen Löffel und er probierte vorsichtig. Während er kaute, brachte eine Erinnerung sein Gesicht zum Leuchten.»
Die Romanfigur Nina George Dean ist eine erfolgreiche Food-Autorin, und sie hat eine überaus interessante Idee. Angestachelt von ihrem Vater, dem die Kombination von Banane und Kondensmilch, eine vertraute Speise aus seiner Kindheit, einen «Schalter im Kopf» umlegt, denkt sie über Essen und Erinnerung nach, «darüber, dass viele unserer Essgewohnheiten einen sentimentalen Hintergrund haben. Es ist interessant zu recherchieren, warum Geruchs- und Geschmackssinn unwillkürliche Erinnerungen auslösen.»
Leider – meine Meinung – schreibt Nina dieses Buch dann doch nicht, sondern muss sich – zum romantischen Vergnügen ihrer Leserinnen und Leser – vorrangig um ihr Liebesleben kümmern. Aber ihre Ideen bleiben interessant: Warum wecken bestimmte Geschmäcker bestimmte Gefühle? Mit welchen Speisen trösten sich Menschen welcher Generation? Warum lieben Nachkriegskinder Bananen? Und Millenials Hamburger?
Solchen Fragen gehe ich unter anderem in diesem Heft nach. Ich orientiere mich dabei an den Basisemotionen, wie sie der amerikanische Psychologe Robert_Plutchik in seiner Emotionstheorie formulierte. Diese Basisemotionen sind Vertrauen, Traurigkeit, Verachtung, Ekel, Arger, Wut, Angst, Überraschung. Erwartung und Freude. Ich setze sie in Beziehung zu bestimmten Gerichten und Rezepten. Und ich habe mir Hilfe geholt, bei fünf hervorragenden Köchinnen und Köchen, die mir Geschichten darüber erzählten, warum sie kochen, wie sie kochen – und welche Gerichte ihre emotionale Landschaft am besten repräsentieren.
I. Vertrauen: Was wir essen, weil wir es lieben
Anfangen möchte ich dort, wo Nina George Dean ihren Vater mit der aberwitzigen Mischung aus Banane und Kondensmilch zurück in die Kindheit trägt: bei jenen Geschmäckern, die Menschen an früher erinnern, an eine Welt, die sich vertraut und gut anfühlt, die es wahrscheinlich gar nicht mehr gibt, ausser natürlich in der Erinnerung.
Ich brauche zum Beispiel nicht viel, um die Zeitmaschine anzuwerfen. Mir genügen ein paar gute festkochende Kartoffeln, ein schönes Stück Butter und etwas Maldon-Salz, um mich in meine Kindheit zurückzuversetzen. Der volle, beruhigende Geschmack der Kartoffeln, der sich mit der eleganten Geschmeidigkeit der schmelzenden Butter paart, die kleinen Sensationen der Salzkristalle, die auf sich an meinem Gaumen auflösen, sie erfüllen nicht nur die Bedingungen perfekten Wohlgeschmacks, sondern beamen mich an den Küchentisch zurück, wo ich mit meiner Grossmutter einmal pro Woche «Kartoffeln mit Butter» zu Abend ass – okay, auf diesem Küchentisch stand natürlich kein Meersalz von Maldon, sondern rieselfreudiges Steinsalz, aber diese Verfeinerung bitte ich zu entschuldigen. Sie ist so überzeugend, dass ich dafür die Reinheit meiner Erinnerung opfere.
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Kartoffeln und Butter
Zutaten für 2 Personen:
10 festkochende Kartoffeln
Bio-Butter
Maldon-Salz
Zubereitung:
Kartoffeln in der Schale kochen, ausdampfen lassen und schälen. In einer mit einem Tuch zugedeckten Schale servieren und mit viel Butter und ausreichend Salz verzehren.
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Natürlich können Sie dieses Gericht auch zu Gschwelti upgraden, ich will Ihnen nicht den Schweizer Käse ausreden, sondern nur meinen Bahnsteig Neundreiviertel in die Vergangenheit beschreiben. Das Phänomen, jeder und jedem von uns bekannt und von der Wissenschaft hinlänglich erforscht, trägt einen literarischen Titel: den «Proust»- oder «Madeleine»-Effekt.
Es lohnt sich, dafür ein etwas längeres Zitat aus Marcel Prousts Roman «Die Suche nach der verlorenen Zeit» zu lesen, das nicht zu Unrecht weltberühmt wurde, vielen aber nur in seiner Zusammenfassung (Madeleine essen = Kindheitserinnerung) bekannt ist: Der Erzähler bekommt von seiner Mutter eine Tasse Tee und «eines jener dicken ovalen Sandtörtchen (…), die man ‹Madeleine› nennt. (…) In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. (…) Woher strömte diese mächtige Freude mir zu? Ich fühlte, dass sie mit dem Geschmack des Tees und des Kuchens in Verbindung stand, aber darüber hinausging und von ganz anderer Wesensart war. Woher kam sie mir? Was bedeutete sie? Wo konnte ich sie fassen?»
Eine plausible Antwort darauf gibt die Hirnforschung. Der Evolutionsbiologe und Wissenschaftsjournalist Bob Holmes fasst in seinem Standardwerk «Geschmack» die komplizierten Prozesse im Gehirn, die den «Proust-Effekt» erst ermöglichen, so zusammen: «Wenn eine Geruchsinformation – der wichtigste Bestandteil des Geschmacks – das Gehirn erreicht, wandert sie sofort in den Hirnstamm, der für Empfindungen und Erinnerungen zuständig ist. Erst einige Schritte später erreicht sie die Hirnrinde. Dieser Umstand bildet die neurowissenschaftliche Basis für die erstaunliche Fähigkeit des Geschmacks, uns zu berühren.»
Der Schweizer Mediziner Johannes Frasnelli, Autor des Bestsellers «Wir riechen besser als wir denken», präzisiert das, indem er erklärt, wie eng unser Geruchssinn mit Gedächtnis und Emotionen verbunden ist: «Riechinformationen werden im sogenannten limbischen System unseres Gehirns verarbeitet – und dieses System ist eben nicht nur für das Riechen zuständig, sondern auch für Gefühle, für die Erinnerung und fürs Lernen.»
Auch Bob Holmes rekapituliert den «Proust-Effekt» und zieht daraus weitreichende Schlüsse: «Der emotionale Kick mag auch erklären, warum Immigranten weiter an ihren Essgewohnheiten festhalten, auch wenn sie bereits eine neue Sprache, Kleidungsweise und manchmal sogar Religion angenommen haben. Ihre Speisen verbinden ethnische Gruppen über Generationen, Ozeane und Grenzen hinweg. Verschiedene Geschmäcker dienen oft als Marker für eine bestimmte Ethnie, und die Köstlichkeiten der einen Kultur sind für die Mitglieder einer anderen Kultur oftmals gewöhnungsbedürftig. Franzosen essen stinkenden Käse, Amerikaner klebrige Erdnussbutter, Australier strenge Vegemite-Paste und Japaner ihr Natto: schleimige fermentierte Sojabohnen.»
Ich hatte als Kind ja noch viel ausgefallenere Vorlieben, nämlich «Milky Way»-Riegel, etwas, das ich heute nicht einmal mit spitzen Fingern mehr anfassen würde. Für «Milky Way» wurde aber in der «Micky Maus» geworben. Der kleine Riegel sei ein Snack, den man getrost vor dem Abendessen verzehren könne, hiess es in der Reklame, er sei viel zu klein, um den Hunger zu stillen, mit dem wir schliesslich am Abend etwas frisch Gekochtes verzehren sollten.
Stimmte natürlich nicht. Wenn man genug «Milky Way» snackte, waren Spinat und Spiegelei nicht mehr besonders attraktiv. Meine kindliche Sehnsucht nach Süssem kann ich allerdings nicht den bösen Lebensmittelkonzernen und ihren perfiden Werbemethoden in die Schuhe schieben (wie oft stand ich mit dem «Milky Way»-Inserat vor meiner Oma und flehte darum, vor dem Essen eins holen zu dürfen, es macht nicht satt, ganz sicher nicht, Oma!)
Der Hinweis meiner Grossmutter, dass sie zum Abendessen «etwas Gesundes» gekocht habe, war übrigens auch nicht hilfreich. «Kinder haben gelernt, dass immer, wenn etwas zu essen von Eltern, Erziehern oder Lehrern ‹gesund› genannt wird, es sowieso nicht schmeckt», sagt der Ernährungspsychologe Thomas Ellrot, «und sie zu allem Übel auch noch gedrängt werden, es trotzdem zu essen. Druck, Bevormundung und ein erwarteter schlechter Geschmack sind keine guten Anreize.» Wie wahr.
Die Vorliebe für Süsses ist hingegen fast allen Kindern in die Wiege gelegt. Die Neigung ist einerseits genetisch codiert, weil Säuglinge die vom Milchzucker süsse Muttermilch mögen müssen. Andererseits schlummert tief in uns das evolutionsbiologisch begründete Wissen, dass süsse Geschmäcker «in der Natur selten giftig sind und wichtige Kalorien liefern», wie es Thomas Ellrott formuliert.
Ich hatte als Kind ein unglaublich beschränktes kulinarisches Wissen. Meine Grossmutter, bei der ich aufwuchs, war eine zurückhaltende Köchin, ihr kulinarischer Horizont war nicht besonders weit, also meiner auch nicht. Mich störte das nicht, ich konnte mir ja heimlich «Milky Way»-Riegel besorgen. Nur wenn ich in den Ferien zu meiner Mutter fuhr und dort – sie kannte im Gegensatz zu meiner Grossmutter die Wunder der italienischen Küche – eine Minestrone vorgesetzt bekam, ein Gericht, das ich inzwischen über alles liebe, brach ich in Tränen aus. Es schmeckte nicht. Es schmeckte nicht.
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Minestrone alla genovese
100g frische, ausgelöste Cannellini-Bohnen, gekocht
3 EL Olivenöl
1 mittelgrosse rote Zwiebel, fein gehackt
Helle Stangen von 1 Sellerie, fein geschnitten
3 Knoblauchzehen, geschält und fein gehackt
2 EL gehackte Petersilie
2 mittelgrosse festkochende Kartoffeln, geschält und in Würfel geschnitten
2 reife Tomaten, gehäutet, entkernt und klein geschnitten
2 mittelgrosse Zucchini, geputzt und in grobe Stücke geschnitten
Je 50g frische Erbsen und Favabohnen, ausgelöst
100g grüne Bohnen, in Stücke geschnitten
Salz und frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
1l Hühner- oder Gemüsebrühe
4 Mangoldblätter, in Streifen geschnitten
100g kleine Teigwaren (Ditaloni oder Gnocchetti)
Pesto Gutes Olivenöl
60g frisch geriebener Parmesan
Zubereitung: Das Olivenöl in einem Topf mit schwerem Boden erhitzen und Zwiebeln, Sellerie, Knoblauch und Petersilie darin 15 Minuten anschwitzen, bis das Gemüse sehr weich ist. – In einem zweiten Topf die Hühner- oder Gemüsebrühe erhitzen. Kartoffeln und Tomaten zum Gemüse geben, dann jeweils die Hälfte der Zucchini, der Erbsen, der Favabohnen und der grünen Bohnen daruntermischen. Mit Salz und Pfeffer würzen, dann mit heisser Brühe bedecken. Zum Kochen bringen, die Hitze reduzieren und 45 Minuten köcheln lassen. – Den Rest der Zucchini und des anderen Gemüses, die Mangoldblätter und die Cannellini-Bohnen in die Suppe geben und aufkochen. Weitere 15 Minuten köcheln lassen. – Ein Viertel der Suppe in der Küchenmaschine zu einem dicken Püree verarbeiten. Wieder zum Rest der Suppe in den Topf geben und umrühren. – In einem zweiten Topf die Pasta in Salzwasser al dente kochen. Abtropfen lassen und zur Suppe hinzufügen. Die Hälfte des Pestos und den Parmesan einrühren und mit Olivenöl beträufeln. Das übrige Pesto dazu reichen.
Aus: River Café – Alle Rezepte
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Viel später fand ich eine schlüssige Erklärung für das Phämomen, das in der Fachsprache «Neophobie» heisst (siehe Kapitel VI) , die Ablehnung neuer Geschmäcker. In seinem Buch «Der Geschmack der Kindheit»beschreibt der deutsche Soziologe Tilman Allert das Phänomen Geschmack aus der Perspektive eines Säuglings. Tilmann Allert: «Die Liebe zum Draussen, sie entsteht in der Höhle des Mundes: eine Erkundungsstation in Gaumen und Rachen. Die Lippen und die Zunge, später die Zähne, assistieren den frühen Abenteuern der Einverleibung. Der Mund eröffnet Duft und Geschmack einen Raum, er erfährt Mut wie Vorsicht, Schönes und irritierend Verwunderliches und das alles in einer Lebensphase, in der das Ich von seinem Vermögen und Verlangen noch gar nichts weiss – bis auf die gefühlte Zuversicht, dass es im Draussen etwas zu entdecken gibt, das wie eine Erweiterung des Drinnen daherkommt. Das orale Gedächtnis bewahrt die Erinnerung an eine Zeit, als das Kosten Empfindungen auslöste, lange vor jeder sortierenden Erkenntnis – Momente, in denen sich der Spürsinn des Leibes in der ‹Wissenschaft des Konkreten› übte.»
Was aber wäre Kochen anderes als eine «Wissenschaft des Konkreten»? Ich habe mir nach dem Motto «Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit» eine ganze Menge von Gerichten angeeignet, die mir einen «emotionalen Kick» versetzen, wie ihn Bob Holmes nennt.
Das Ei, das ich ohne Fett in einer Emailpfanne zubereiten wollte, zählt nicht dazu. Es war mein erster Versuch, mich als 18jähriger selbstständig zu ernähren. Aber der Salat von vollreifen Tomaten, den ich mit hauchdünn geschnittenen, weissen Zwiebeln zubereitete, dafür ohne Essig und nur mit Zitronensaft und Olivenöl, zählt noch immer dazu. Er zaubert den Esstisch meiner ersten Wohngemeinschaft vor mein geistiges Auge, und ich würde ihn niemals mit Kräutern oder ausgefallenen Gewürzen verfälschen.
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Tomatensalat
Zutaten für 2 Personen:
3 vollreife Tomaten
Saft einer Zitrone
1/2 weisse Zwiebel, in hauchdünne Scheiben geschnitten
Salz
Pfeffer
Olivenöl
Zubereitung:
Tomaten vom Strunk befreien und in Scheiben schneiden. Mit den Zwiebelscheiben vermischen, salzen, pfeffern, Zitronensaft dazugiessen und mit Olivenöl übergiessen. Gut durchmischen und mit Weissbrot verzehren.
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II. Traurigkeit: Wenn wir essen, weil wir müssen
Ein guter Freund, der Salzburger Koch Sepp Schellhorn, bekam einen Anruf von seiner Familie im Vorarlbergischen. Ein Verwandter, Ende vierzig, war von einer Lawine erfasst worden. Die seltene Tragik des Falles bestand darin, dass das Opfer auf absolut unwahrscheinliche Weise zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, im fahrenden Auto auf einem Wirtschaftsweg, den eine kleine, normalerweise nicht weiter bemerkenswerte Lawine querte. Chance, dass so etwas passiert: 1:100.000. Aber der Mann war tot, seine Familie im Schock.
Sepp zögerte keine Sekunde, setzte sich mit seinem Sohn Felix und ein paar Kühltaschen mit Vorräten ins Auto und fuhr nach Vorarlberg. Im Haus des Verstorbenen herrschte die Art von Trauer, die mit Worten noch nicht zu lindern ist. Es braucht Berührungen, Umarmungen, elementare Verständigungsmassnahmen. Essen ist eine davon, auch – und weil – Trauernde gern darauf vergessen: Wie kann ich mir etwas schmecken lassen, wenn er nie wieder etwas essen wird? Der Teller Suppe, der irgendwann auf dem Tisch steht, macht schliesslich den Unterschied zwischen dem Toten und den Zurückgebliebenen, den Lebenden. Es muss ihn nur jemand zubereiten, und im konkreten Fall waren es Sepp und Felix, die kochten, statt zu reden, die kochten, um zu umarmen, die kochten, um dem Leben wieder eine Einfallschneise zurück ins Trauerhaus zu ermöglichen.
Ich sprach mit Sepp Schellhorn über das Phänomen des Tröstens, und er kam unmittelbar, siehe Kapitel I, auf seine Kindheit zu sprechen. Sepps Mutter Karola war selbst eine begnadete Köchin, die beschlossen hatte, die rurale Küche der Provinz nach Kräften neu zu definieren, was in den Siebziger- und Achtzigerjahren eine durchaus mutige Entscheidung war. «Von ihr», sagte mir Sepp, «habe ich nicht nur gelernt, was Kochen ist. Sie hat mir zwar nichts aktiv beigebracht, aber ich stand immer neben ihr und habe mit den Augen gestohlen. Und sie wusste, wie sie mich trösten konnte, wenn ich beim Skifahren nicht der Schnellste gewesen war und von den Nachbarskindern eins auf die Nase gekriegt habe. Mit Suppe.»
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Sepps Kräuterrahmsuppe
Zutaten für 2 Personen:
4 EL fein geschnittener Schnittlauch
4 EL fein gehackte Petersilie
2 Suppentassen Gemüse oder Hühnerbrühe
2 Suppentassen Schlagrahm
20g Butter
4 Eigelb
Muskatnuss, frisch gerieben
Salz
Zubereitung:
Alle Bestandteile in einen Topf geben und gut vermischen. Auf kleiner Flamme erwärmen, aber darauf achten, dass die Suppe nie zu kochen beginnt, weil sie sonst ausflockt. Mit dem Mixer dafür sorgen, dass genügend Luft in die Suppe kommt, dass die Eigelb emulgieren und für eine gute, tröstliche Konsistenz sorgen. In fünf Minuten ist die Suppe fertig. Mit Schnittlauch bestreuen und sofort servieren.
Aus: Sepp Schellhorn, Sepp, was machst du?
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«Für Schlankheitsbewusste ist diese Suppe natürlich nichts», sagte Sepp Schellhorn lächelnd. Aber darum geht es ja in diesem Zusammenhang auch nicht, es geht um das langsame Austreiben der Trauer.
Die Wirkungsmacht von Suppe beschreibt auch Dolly Aldertons Heldin Nina, als sie über ihre Tomatensuppe nachdenkt: «Eine süssliche, sämige Kindersuppe, die nach Tomaten und Sahne schmeckte. Danach sehnte ich mich, wenn es mir schlecht ging; wenn ich mich in eine Zeit zurückwünschte, als mir jemand kühle Hände an die Stirn legte und sich Sorgen um meine Gesundheit machte oder mir vorschrieb, wann ich schlafen ging, sodass ich mir keine eigenen Gedanken darum machen musste.»
Dem selben tröstlichen Zweck dient auch die traditionelle Trauermahlzeit nach dem Begräbnis. Sie ist dazu da, um im Namen des teuren Verblichenen wieder ein bisschen Licht ins Dunkel zu holen. Gemeinsam an einem Tisch sitzen, essen, trinken, sich verständigen, miteinander weinen, lachen, einander nur durch die Tatsache, dass man da ist, zu trösten: Das tun nur Lebende – und deshalb finde ich es auch so wichtig, dass beim Traueressen etwas Vernünftiges serviert wird, nicht etwa Kaffee und Kuchen. Wenn ich mir für meine eigene Verabschiedung etwas wünschen dürfte, dann wäre es der herzhafteste, lebendigste Eintopf von allen, nämlich das Chili con Carne, das durch die Verfeinerungszentrifuge von Eckart Witzigmann gedreht wurde – darunter mache ich’s nicht, jedenfalls nicht, solange ich lebe.
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Chili con Carne
Zutaten für 8 Personen (für grössere Gesellschaften nach Belieben zu vervielfachen):
1 kg Rindernacken mit Fett marmoriert
100g Lardo
2 rote Zwiebeln (80g)
4 kleine Knoblauchzehen
100g Staudensellerie
1/2 EL Kreuzkümmel
2 Jalanpeño-Schoten
500g Rote Kidney-Bohnen aus der Dose
1 rote und 1 gelbe Peperonischote
1 EL Mehl
1 Liter Rinderbrühe
2 EL Tomatenmark
1,5 EL Chilipulver
0,2 Liter Coca-Cola
600g Tomaten aus der Dose
0,33 l dunkles Bier
Salz und Pfeffer
Majoran, Koriander, Oregano
1TL Worcester oder Teriyakisauce
1 Bouquet garni.
Zubereitung:
Rindfleisch waschen, trockentupfen und von Knochen und Sehnen befreien. Fleisch in 1 cm grosse Würfel schneiden. Lardo klein schneiden. Zwiebeln, Knoblauch und Staudensellerie ebenfalls. Kreuzkümmel sehr fein hacken. Jalapeños halbieren, entkernen und in feine Streifen schneiden. Kidney-Bohnen abgiessen. Rote und gelbe Peperoni schälen und in kleine Würfel schneiden. – Rindfleischwürfel salzen und pfeffern und in einem Schmortopf in sehr heissem Olivenöl von allen Seiten gleichmässig anbraten, bis sie Farbe annehmen. Dann mit Mehl bestäuben, aus dem Topf nehmen und beiseite stellen. – Lardo im Schmortopf mit Zwiebeln, Knoblauch, Staudensellerie, Jalapeños andünsten. Rindfleisch wieder hinzugeben, salzen, pfeffern, Tomatenmark zufügen und mit dem Chilipulver bestreuen, bis der Topfinhalt eine schöne, rote Farbe angenommen hat. Mit Cola und Bier aufgiessen und die Flüssigkeit fast einkochen lassen. Mit den Tomaten auffüllen, Bouquet garni dazugeben, wieder einkochen lassen. Das Fleisch mit heisser Rinderbrühe bedecken und etwa 2 Stunden köcheln lassen, bis das Fleisch weich ist. Zum Schluss Kidney-Bohnen und die gewürfelten roten und gelben Peperoni unterheben. Alles scharf mit Salz, Pfeffer, Majoran, Koriander, Oregano und Worcester- oder Teryakisauce würzen und nochmals 20 Minuten köcheln lassen.
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III. Verachtung: Appetit wider Willen
Essen und Verachtung, das ist eine merkwürdige Kombination. Dabei ist es gar nicht so selten, dass sich in der modernen Welt interdisziplinärer Polarisierungen auch diese unschöne Emotion mit uns an den Esstisch drängt.
«Zum Glück gibt es noch ein paar Normale», sagte ein älterer Verwandter zu mir, als ich bei einem Familienessen weder protestierte, als er mir ein Stück Roastbeef auf den Teller hob, noch, als er mir einen Schluck Rotwein ins Glas goss.
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Roastbeef
Zutaten für 4-6 Personen:
1 - 1,2 kg Roastbeef, geputzt
Salz und schwarzer Pfeffer aus der Mühle
4 EL Dijon-Senf
4 - 6 EL Sonnenblumenöl
Zubereitung:
Das Fleisch kräftig mit Salz und Pfeffer einreiben und anschliessend mit dem Senf einstreichen. Diesen Arbeitsschritt erledigen Sie idealerweise schon am Vortag. In der Nacht im Kühlschrank marinieren lassen, dann eine Stunde vor dem Braten herausnehmen. Den Backofen auf 80 Grad vorheizen. Das Roastbeef in einen Bräter legen und 1 bis 1 ½ Stunden braten, bis es eine Kerntemperatur von 55°C erreicht hat. Roastbeef dann aus dem Ofen nehmen, Ofentemperatur auf 50°C reduzieren. Das Öl in einer grossen Pfanne erhitzen und das vorgegarte Roastbeef auf allen Seiten kräftig nachbraten, bis es eine schöne Farbe hat. Das Fleisch wieder in den Bräter legen und mindestens 20 Minuten bei 50°C ruhen lassen. In Scheiben schneiden und mit Bratkartoffeln servieren.
Aus: Der grosse Radatz
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«Normal», das war sein Etikett für bis vor kurzem weithin übliche kulinarische Verhaltensweise, Fleisch- und Alkoholgenuss, die mehr und mehr in die Defensive gerät, und zwar aus guten Gründen. Ich muss jetzt nicht alle aufzählen, jede und jeder von Ihnen weiss Bescheid: Viele, vor allem viele junge Menschen, verzichten auf Fleisch und Alkohol, einerseits aus moralischen und altruistischen Gründen, andererseits aus Überlegungen der Selbstoptimierung.
Menschen, die keine Gedanken daran verschwenden, was es im globalen Kontext bedeutet, jeden Tag Fleisch zu essen, und wie zuträglich es der eigenen Gesundheit ist, jeden Tag Alkohol zu trinken, begnügen sich aber sehr oft nicht damit, einfach zu tun, was sie für richtig halten. Sie fühlen sich vom Verzicht der anderen provoziert. Sie machen sich über Menschen, die sich vegetarisch, vegan oder alkoholfrei ernähren, lustig. Sie überziehen sie, während sie an ihren Rippchen nagen, mit beissendem Spott, versichern die anderen ihrer Verachtung.
Umgekehrt ist den kulinarischen Sauriern nicht nur die Kritik der Veganerinnen und Veganer sicher, sondern auch deren erbittere Opposition – und ihre Antipathie, die sich in gegenläufiger Verachtung ausdrückt: Was müssen das für Idioten sein, die mit ihren Nahrungsgewohnheiten sich selbst und die Welt kaputt machen. Als Food-Kolumnist kenne ich beide Positionen sehr gut, denn ich sitze selbst nicht nur auf beiden Stühlen, sondern auch dazwischen. Deshalb hier ein besonders köstliches fleischloses Rezept, um die Balance wieder herzustellen.
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Falscher Thunfisch
Zutaten für 4 Personen:
1 kleine Wassermelone
4 EL Sesamöl
1/4l Sojasauce
1 Chilischote, klein gehackt
2 Nori-Algenblätter
Zubereitung:
Die Wassermelone schälen und in Streifen schneiden, etwa 10 cm lang, 3 cm breit und 2 cm hoch. – In einer beschichteten Pfanne mit 1 EL Sesamöl bei mittlerer Hitze auf beiden Seiten kurz anbraten. In eine ofenfeste Form legen. Die Sojasauce mit dem restlichen Sesamöl und Chili vermengen und über die gebratene Wassermelone giessen. Die Noriblätter darauflegen und das Ganze mit Alufolie möglichst luftdicht abdecken. Im vorgeheizten Backrohr bei 120°C ca. 15 Minuten garen, dann abkühlen lassen. – Die abgekühlte Wassermelone in Scheiben schneiden, wie einen Thunfisch. Mit der Marinade beträufeln und, falls gewünscht, mit gehacktem Koriander bestreuen und mit Wasabi aus der Tube servieren.
Aus: Sepp Schellhorn: Sepp, was machst du? DK-Verlag
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IV. Ekel: Abscheu vor dem Unbekannten
In seinem Standardwerk «Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung» definiert der deutsche Komparatist Winfried Menninghaus den Ekel als «Alarm- und Ausnahmezustand, eine akute Krise der Selbstbehauptung gegen eine unassimilierbare Andersheit, ein[en] Krampf und Kampf, in dem es buchstäblich um Sein oder Nicht-Sein geht.» Menninghaus: «Im Ekel scheint nie weniger als alles auf dem Spiel zu stehen.»
Nun, es geht noch immer um Essen, und während sich Menninghaus über die «Poesie der Verwesung», die «Psychoanalyse des Stinkens» oder die «klebrige Marmelade der Existenz» auslässt, stehe ich unentschlossen vor dem Regal der Genüsse, die der deutsche Gastrosoph und Restaurantkritiker Wolfram Siebeck als «verpönt» bezeichnete. Es geht dabei um Lebensmittel, die viele von uns aus unerfindlichen Gründen verabscheuen. Ganz oben auf dieser Liste befinden sich Innereien, jene verborgenen Organe der Schlachttiere, von deren Existenz wir zwar wissen, deren Genuss wir aber nach Kräften ausweichen.
Wer schon einmal der Schlachtung eines Tiers beigewohnt hat, wird die Szenerie nicht so schnell vergessen: die Sturzbäche des Bluts, das Rascheln der Eingeweide, den Gestank der Därme. Es hat einen guten Grund, dass die gigantischen Schlachthöfe längst im Verborgenen arbeiten, hermetisch abgeschirmt gegen die Blicke derer, die sich zu sehr ekeln würden vor dem grossen Tabu, dem Tod, der das ungeliebte Verbindungsstück zwischen den hübschen Weidebildern glücklicher Tiere und den erstklassig zugeputzten Edelteilen von Rind, Lamm, Schwein ist, die wir beim Metzger einkaufen.
Der Ekel vor dem Tod ist also outgesourct, der Ekel vor dem Unbekannten hat sich institutionalisiert. Ausnahmen wie Fergus Henderson, der in seinen Londoner St. John Restaurants das «Nose to tail Eating» propagiert, bestätigen die Regel. Es gibt sie zwar noch vereinzelt, die Metzger, wo man Nieren und Hirn kaufen kann. Aber auch sie sind auf dem Rückzug, weil wir, die Kundinnen und Kunden, diese Fleischteile nicht mehr einkaufen, geschweige denn wissen, wie wir sie zubereiten sollen. Die Kalbsleber, ein Edelteil unter den Innereien und mit einem besonders subtilen Eigengeschmack ausgestattet, mag eine Ausnahme sein, und was mit Schlund, Kutteln und Milz geschieht, weiss nicht einmal ich.
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Hirn mit Rührei
Zutaten für 4 Personen:
1 Kalbshirn
Lorbeerblätter
3 Gewürznelken
2 Schalotten
1 TL Pfefferkörner
Sellerie
Rosmarin
3 EL Butter
4 Eier
2 EL fein gehackter Schnittlauch
Zubereitung:
Kalbshirn putzen (oder vom Metzger putzen lassen). In kaltes, leicht gesalzenes Wasser legen und mehrere Stunden wässern, bis es weiss ist. – Das Wasser zwischendurch wechseln. – Aus Gewürzen und Wasser einen Fond ansetzen und das Hirn darin 20 Minuten simmern lassen. Achtung: Das Wasser darf auf keinen Fall mehr kochen. Das Hirn aus dem Wasser heben und mit einem grossen Messer in Stücke hacken. – In einer Pfanne 3 EL Butter schmelzen und die Eier hineinschlagen. Die Hirnstücke dazugeben und alles gut vermischen. Mit Schnittlauch bestreuen und sofort servieren. Wolfram Siebeck nennt das Gericht ein «leichtes, zweites Frühstück». Nach Belieben kann auch Gemüse wie grüne oder weisse Spargeln, Spinat oder Pfifferlinge dazugemischt werden. Der Fantasie ist keine Grenzen gesetzt.
Aus: Siebeck, Kochbuch der verpönten Küche
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«Es ist an der Zeit», schrieb Wolfram Siebeck bereits 2008 im Vorwort zu seinem «Kochbuch der verpönten Küche», «darüber aufzuklären, dass es vieles gibt, was der moderne Mensch nicht kennt. Nicht kennen will, um es offen zu sagen. Denn Herz und Nieren im Kochtopf gehören zu den Igittereien, vor denen besonders deutsche Esser sich ekeln wie vor dem sprichwörtlichen Haar in der Suppe. Ich will das Haar nicht verharmlosen. Es ist tatsächlich der einzige Teil eines Körpers, der zum Verzehr nicht geeignet ist.»
Ich selbst liebe Innereien, wenn sie sorgfältig zubereitet sind, scheue aber die aufwändigen Prozeduren der Säuberung wie etwa bei Kutteln in der eigenen Küche. Der Geruch ist tatsächlich herausfordernd. Andererseits gebietet der Respekt vor dem Lebewesen, das gezüchtet und getötet wird, damit wir es aufessen können, dass wir es tatsächlich aufessen.
Die Rosinenpickerei aber – es gibt Leute, die sich allen Ernstes als «Filettyp» bezeichnen – finde ich meinerseits ekelhaft, so wie übrigens auch die industrielle Kochkunst, die Convenience-Gerichte mit verstecktem Zucker, Konservierungsmitteln und Stabilisatoren vollpackt. Da lobe ich mir mein zweites Frühstück samt Hirn mit Ei – oder auch die weitreichende Entscheidung, auf Fleischkonsum überhaupt zu verzichten (Siehe Kapitel III).
Als kleinen Bonustrack zum Schluss möchte ich Ihnen noch die Hitparade der ekelhaftesten Gerichte der Welt zu Gehör bringen, wie sie die Food-Plattform „Taste Atlas» 2023 zusammengetragen hat. Patriotische Esserinnen und Esser müssen jetzt stark sein. Die Schweiz ist gleich dreimal mit klassischen Gerichten vertreten, und ich enthalte mich für diesmal jeden Kommentars:
Platz zehn: Basler Mehlsuppe. Platz neun: Tirggel, das Zürcher-Advent-Gebäck. Platz acht: Devilled Kidneys, scharfe Lammnieren auf englische Art. Platz sieben: Bündner Gerstensuppe. Platz sechs: Pizza-Torte. Platz fünf: Sklandrausis, eine lettische Pastete aus Roggenteig mit Kartoffel-Rüebli-Mischung und Vanillezucker. Platz vier: Frittierte Spinnen, kambodschanische Nationalspeise. Platz drei: Indigirka-Salat, ein russisches Gericht aus gefrorenem Fisch und rohen Zwiebeln. Platz zwei: Spaghetti-Kuchen, wie es ihn vereinzelt in den USA gibt. Platz eins: Hákarl, die isländische Spezialität aus gepökeltem, fermentiertem Haifischfleisch.
V. Ärger/Wut/Angst: Und das heißt «Emotionales Essen»
Wir kennen diese Emotionen nur zu gut, aber was, verdammt, haben sie mit Essen zu tun? Interessanterweise mehr, als wir vielleicht denken. Wir alle kennen das Gefühl, nach einem unbefriedigenden Telefonat, einem Streit mit dem Partner oder einer frustrierenden Begegnung in der Kollegenschaft instinktiv Richtung Küche zu trotten und nachzuschauen, ob im Kühlschrank etwas zu finden ist, das den Ärger, die Wut, die Frustration lindern könnte.
Schon der erste Bissen vom, tja, «Milky-Way»-Riegel, ein Löffel der gestern übriggebliebenen, kalten Lasagne, ein Stück Gruyère mit Senf, und die Amplituden unserer Gefühle verflachen, und dabei habe ich jetzt absichtlich nicht die vielleicht gefährlichsten Seelentröster aufgeführt, das Glas Bier, Wein oder Schlimmeres.
Das Phänomen trägt einen – auch im Kontext dieses Heftes – interessanten Namen: «Emotionales Essen». Der Psychotherapeut Michael Macht definiert das Phänomen als «Essmuster, bei dem Menschen aus Gefühlszuständen heraus essen und nicht alleine, weil sie Hunger haben.» Der Ernährungspsychologe Christoph Klotter führt das auf die kindliche Urerfahrung des Geliebtwerdens zurück, die ganz eng mit Essen verbunden ist: «Wenn ein Baby gestillt oder gefüttert wird, ist das gleichzeitig die Erfahrung: Ich werde geliebt. Erst später lernt es, diese beiden Dinge zu trennen. Und sehr oft kompensieren Menschen, die diese Urerfahrung des Geliebtwerdens zu wenig gemacht haben, [dieses Defizit] ihr Leben lang mit Essen.»
Ich will mich jetzt auf keinen Fall in die gefährlichen Untiefen der psychischer Erkrankungen und Essstörungen abtreiben lassen, sondern lieber den Zusammenhängen zwischen psychischem Zustand und Essen nachspüren. Dazu findet sich ein ziemlich überzeugendes Faktum im Maschinenraum unserers Körpers: 95 Prozent des Serotonins, also jenes Gewebshormons und Neurotransmitters, das auf chemischer Ebene unsere Stimmungen und Emotionen steuert, werden im Darm produziert. Darm und Gehirn wiederum sind eng über den sogenannten Vagus-Nerv miteinander verbunden. Beide Organe bestehen sogar aus ähnlichen Zellen. Es ist also kein Zufall, wenn wir uns so gern auf unser «Bauchgefühl» verlassen und dieses mit spezifischem Essen zu beinflussen versuchen.
Es geht dabei um würziges, einfach zu verstehendes, kalorienreiches Essen. Wir nennen es nicht ohne Grund «Comfort Food». Das Cambridge-Lexikon nimmt in seiner Definition von «Comfort Food» gleich mehrere Facetten unseres grossen Themas auf: «Comfort Food: jene Art von Lebensmitteln, die Menschen essen, wenn sie traurig oder besorgt sind, oft süsse Lebensmittel oder Lebensmittel, die Menschen als Kinder gegessen haben.»
In diesem Begriff ist also der Ausgleich all unserer negativen Emotionen enthalten, und das folgende Rezept ist für mich geradezu der Prototyp von Stimmungsessen. Pasta, Käse, Crunch, Fett, Süsse. Ein Sonnenstrahl im Stimmungstief.
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Makkaroni und Käse (Mac and Cheese)
Zutaten für 8 Personen:
3 EL Butter
350g gereifter Cheddar, grob gerieben
350g Gruyère, grob gerieben
500g Makkaroni, in Salzwasser gekocht, dann abgetropft und unter kaltem Wasser abgespült.
1 grosszügige Prise Cayennepfeffer
Salz
150 ml Vollmilch.
Zubereitung:
Ofen auf 180 Grad vorheizen. Eine etwa 20 mal 30cm grosse Backform mit einem Esslöffel Butter gut einfetten. Den geriebenen Käse mischen und beiseite stellen. In einer grossen Schüssel die Makkaroni, die Hälfte des Käses, den Cayennepfeffer und das Salz vermischen. Alles in die vorbereitete Form geben und die Milch gleichmässig darüber giessen. Mit der zweiten Hälfte des Käse bestreuen, die restliche Butter darüberflocken und alles zugedeckt 45 Minuten lang backen. Dann die Hitze auf 200 Grad erhöhen und weitere 15 bis 20 Minuten backen, bis Ober- und Unterseite knusprig sind und eine goldgelbe Farbe angenommen haben. Sofort servieren und essen, sobald das Gericht nicht mehr zu heiss ist. Schönen Gruss an die Serotonin-Produktion im Darm.
Aus: New York Times
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VI. Überraschung: Und das kann man wirklich essen?
Überraschung ist eine zweischneidige kulinarische Zutat. Fortgeschrittene Esserinnen und Esser erwarten, wenn sie in ausgesuchte, hochdekorierte Restaurants gehen, geradezu den Kick des Neuen, eine unerwartete, geschmackvolle Volte genialer Küchenchefs, Kombinationen, Zubereitungsmethoden, Texturen, die ihnen bis dahin unwahrscheinlich schienen und plötzlich grosse Freude machen.
Gleichzeitig aber gibt es auch Menschen – ich habe keine verlässlichen Daten dazu, vermute aber, dass sie im Vergleich zu den oben Beschriebenen in der Mehrheit sind –, die Überraschungen ganz und gar nicht schätzen. Sie leben nach dem alten (und auf eine elementare Weise gar nicht so unsympathischen) Motto: «Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.»
Die Aversion gegen unerwünschte Ausweitungen des Speisezettels findet sich sogar in einem psychologischen Muster wieder, das «Food-Neophobie» heisst. Damit ist die Scheu gemeint, unbekannte Lebensmittel zum erstem Mal zu kosten, also Überraschungen zu vermeiden. Das Phänomen tritt naturgemäss vor allem bei Kindern auf, kann aber auch biologisch oder kulturell bedingt sein. Bei Erwachsenen tritt Neophobie übrigens im ländlichen Raum deutlich öfter auf als in urbanen Gegenden, was den Wahrheitsgehalt des oben zitierten Sprichworts untermauert.
Bei einer grossflächigen Review über die Verwendung der «Food Neophobia Scale» – jener Skala, mit der Neophobie üblicherweise gemessen wird – kamen interessante Details zum Vorschein, die Neophobie bei Erwachsenen betrifft. Eine besonders geringe Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Geschmäckern erkannten die Review-Autoren Adrián Rabadán und Rodolfo Bernabéu in Neuseeland, China und dem Libanon, während sie in Mexiko oder Brasilien etwas niedriger war.
Besonders fasziniert mich aber eine Geschichte, die vom Aufstieg eines Gerichts, das Neophobikern den Angstschweiss auf die Stirn treten lässt, zum Nationalgericht Grossbritanniens erzählt: Chicken Tikki Masala.
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Chicken Tikki Masala
Zutaten für 4 Personen:
1 EL Garam Masala
2 TL Kurkuma, gemahlen
TL Kreuzkümmel, gemahlen
2 TL scharfes Paprikapulver oder 1 TL Cayennepfeffer
1½ TL Salz, plus mehr zum Würzen
1 TL gemahlener schwarzer Pfeffer, plus mehr zum Abschmecken
350ml Vollmilchjoghurt
2 EL frischer Zitronen- oder Limettensaft
6 grosse Knoblauchzehen, fein gerieben
1 fingerdickes Stück Ingwer (5cm lang) , fein gerieben
1kg Hühnerschenkel ohne Knochen und Haut (falls nicht erhältlich: Hühnerbrüste, der Länge nach halbiert oder gedrittelt)
2 EL Ghee
1 grosse Zwiebel, in dünne Scheiben geschnitten
3 EL Tomatenmark
2 Dosen ganze Tomaten (800g)
¾ Becher Sahne
1 grosser Bund Koriander, grob gehackt
Zubereitung:
Garam Masala, Kurkuma, Kreuzkümmel, Paprika, 1½ TL koscheres Salz und 1 TL schwarzen Pfeffer in einer kleinen Schüssel vermengen. – In einer mittelgrossen Schüssel Joghurt, Zitronensaft, 3 geriebene Knoblauchzehen, die Hälfte des Ingwers und die Hälfte der Gewürzmischung verquirlen. Das Hühnerfleisch dazugeben und kräftig durchmischen. Schüssel abdecken und mindestens 4 Stunden im Kühlschrank ziehen lassen. – Ghee in einem schweren Topf bei mittlerer Hitze erhitzen. Zwiebelringe etwa 5 bis 8 Minuten bräunen. Dann das Tomatenmark und den Rest des Knoblauchs, Ingwers und der Gewürzmischung dazugeben und so lange kochen, bis die Gewürze duften und das Tomatenmark am Topfboden zu karamellisieren beginnt (etwa 2 Minuten). – Tomaten grob zerkleinern und mit der Sahne und etwas Wasser in den Topf geben. Mit Salz und Pfeffer würzen und zum Köcheln bringen, bis die Sauce leicht eingedickt ist (20 bis 25 Minuten). Vom Herd nehmen und abdecken, bis das Fleisch fertig ist. – Hühnerfleisch aus dem Kühlschrank nehmen, den Grill einschalten und den Rost ca zehn Zentimeter unter den Grill schieben. Ein Backblech mit Alufolie auslegen und unter den Rost schieben. Die Hühnerstücke aus der Marinade nehmen und auf den Rost legen. 5 bis 7 Minuten grillen, bis sie leicht verkohlt sind, dann wenden und weitere 2 bis 3 Minuten grillen. – Die Tomatensauce erhitzen. Hühnerstücke aus dem Ofen nehmen und gemeinsam mit dem restlichen Joghurt in die Tomatensauce geben. Köcheln lassen, bis das Fleisch durchgebraten ist und die Sauce eine schöne, dicke Konsistenz hat. Auf vier Schüsseln verteilen und mit Reis oder Naan servieren.
Rezept von Alison Roman
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Wie ausgerechnet dieses Gericht zum britischen Nationalgericht wurde, ist Gegenstand zahlreicher Legenden. Die gebräuchlichste: Ein bengalischer Koch habe einem britischen Gast Chicken Tikka, gegrillte, marinierte Hühnerstücke, serviert. Der Gast, der es als Kenner britischer Konventionen gewohnt war, zum Fleisch auch Gravy, also dicke Sauce, zu bekommen, beschwerte sich beim Koch, dass das Huhn zu trocken sei. Darauf habe der Koch schnell eine Tomatensauce improvisiert.
2001 meldete auch Iqbal Wahhab, Gründer des berühmten «Cinnamon Club» in London, Ansprüche auf die Erfindung des Gerichts an. Andere Quellen schreiben diese dem pakistanischen Einwanderer Ahmed Aslam Ali und seinem Glasgower Restaurant «Shish Maha» zu. Tatsache aber ist, dass sich Chicken Tikki Masala in den Sechziger- und Siebzigerjahren über die Speisekarten sämtlicher indischer Restaurants Grossbritanniens ausbreitete, bis Robin Cook, Aussenminister in der Regierung Tony Blairs, das Gericht zum «wahren Nationalgericht» aller Briten erklärte: «Chicken Tikka Massala [bildet] perfekt ab(…), wie Grossbritannien fremde Einflüsse aufnimmt und anpasst. Chicken Tikka ist ein indisches Gericht. Die Masala-Sauce wurde hinzugefügt, um das Bedürfnis der Briten zu befriedigen, ihr Fleisch in Sauce serviert zu bekommen. Multikulturalismus als positive Kraft für unsere Wirtschaft und Gesellschaft zu erkennen, wird bedeutende Auswirkungen für das Verständnis unserer Identität als Briten haben.»
Nicht zuletzt diese Interpretation ist im Licht heutiger Polarisierungsmechanismen eine Überraschung – noch eine Überraschung.
VII. Erwartung: Was wir uns wünschen, schmecken wir
Es ist bewiesen, dass positive Erwartungen eine entscheidende Auswirkung darauf haben, wie wir ein Essen geniessen. In «Gastrologik» führt Charles Spence den Nachweis, dass die Atmosphäre eines Restaurants, der Duft, das Sitzgefühl, die Musik, das Licht, einen unmittelbaren Einfluss darauf haben, wie wir ein Essen wahrnehmen. Die Atmosphäre manipuliert unsere Erwartungen, die ihrerseits unsere Wahrnehmung manipuliert.
Spence zitiert dazu den amerikanischen Marketingprofessor Philip Kotler, der in seinem Essay «Atmospherics» darauf hinwies, dass ein greifbares Produkt – «ein paar Schuhe, ein Kühlschrank, ein Haarschnitt oder eine Mahlzeit» – nur ein kleiner Teil des konsumierten Gesamtpakets sei. Der Käufer reagiere ganz besonders auf den Ort, wo er sein Produkt kauft oder konsumiert. «In manchen Fällen hat der Ort, oder genauer die Atmosphäre des Orts, grösseren Einfluss als das Produkt selbst. Ja, bisweilen ist sogar die Atmosphäre das Hauptprodukt.»
Eine Versuchsreihe unter Menschen, die an einer Blindverkostung verschiedener Weine teilnahmen, ergab, dass Weintrinker, die keine besondere Ausbildung genossen haben, den Geschmack billiger Weine bevorzugen. Allerdings nur so lange, bis sie erfahren, was die Weine kosten. Die Erwartung, dass teure Weine besser schmecken als billige, hat zur Folge, dass diese auch besser bewertet werden. Aber nicht nur das: «Gehirnscans zeigten, dass [die Probanden] das nicht nur behaupteten, sondern dass die teureren Weine tatsächlich das Belohungssystem des Gehirns stärker aktivierten als dieselben Weine, wenn wie ihnen als billigere präsentiert wurden», schreibt Bob Holmes. «Mit anderen Worten: Ein höheres Preisschild führte tatsächlich zu einem höheren Genuss!»
Wenn ich Ihnen also als Apotheose dieses Kapitels ein Rezept von Andreas Caminada in Aussicht stelle, dem charismatischen Drei-Sterne-Koch aus Fürstenau, dann manipuliere ich schon allein dadurch Ihre Erwartungen. Caminada steht für auf die Spitze getriebenen Genuss, zu Recht, wie ich finde – vielleicht haben Sie ja schon selbst Ihre Erfahrungen mit einem Essen in Fürstenau gemacht, diesem unglaublich stimmungsvollen Ort, der uns allein schon kraft seiner Aura auf einen anderen, erwartungsvollen Ton stimmt, siehe oben. In diesem Fall kann ich nur sagen: Die hohen Erwartungen sind gerechtfertigt, gutes Gelingen.
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Caminadas Steinpilz Carpaccio
Zutaten:
10 frische Steinpilze
grobes Salz
Rapsöl
2 Steinpilze, klein gewürfelt
Öl zum Braten
1 Schalotte, gewürfelt
100 ml Gemüse-Consommé
Zum Anrichten:
20g geröstete Pinienkerne
30g Schnittlauch, in Röllchen geschnitten
Zubereitung:
Die Steinpilze putzen und hauchdünn aufschneiden, mit grobem Salz würzen und mit Rapsöl beträufeln und bis zum Anrichten beiseitestellen. Die Steinpilzwürfel in einer heissen Bratpfanne in etwas Öl kurz anbraten. Die Schalottenwürfel dazugeben, mit der Gemüse-Consommé ablöschen. Die Sauce zu der gewünschten Konsistenz einkochen und abschmecken. Die Steinpilzscheiben auf Tellern anrichten und mit der Sauce, den gerösteten Pinienkernen und den Schnittlauchröllchen anrichten.
Aus: Andreas Caminada, Pure Frische, AT-Verlag
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VIII. Freude: Das dicke, süsse Königsgefühl
Dieses Königsgefühl, Ziel zahlloser Bemühungen, Sehnsüchte und Rezepte, ist im Kontext dieses Heftes vielleicht das uninteressanteste. Wir wissen ja, wie sich Freude anfühlt. Und wir wissen inzwischen auch, wie wir diesen Zustand kulinarisch erreichen: indem wir Vertrautes mit Menschen teilen, die wir mögen, an Orten, wo wir uns wohlfühlen, vielleicht mit beruhigender Hintergrundmusik, vielleicht in vollständiger Ruhe, die allein die Atmosphäre des Orts zum Tragen bringt.
Ich habe für das Zelebrieren dieser kulinarischen Freude zwei Gerichte aus dem Klassiker «Aus Schweizer Küchen» von Marianne Kaltenbach ausgesucht, beide bestes schweizerisches Comfort Food, beide aus verschiedenen, aber doch verwandten kulinarischen Regionen, beide einfach herzustellen, wenn auch ein bisschen aus der Mode gekommen. Ich beginne mit dem Basler Zwiebelkuchen, oder sollte ich sagen: der Basler Ziibelewäije. Und gestatten Sie mir bitte diese ketzerische Anmerkung: Ich finde diesen wundervollen, altmodischen Kuchen besser ohne die Speckwürfel.
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Basler Ziigelewäije
Für ein rundes Kuchenblech von 25 cm Durchmesser
Zutaten:
500 g Kuchenteig
50g Speck, fein gehackt
30 g Kochbutter
400 g Zwiebeln
Salz, Pfeffer, Muskatnuss
1 EL Mehl
1,5 dl Milch
3 grosse Eier
1,5 dl Rahm
Butter für das Blech
50 g geriebener Käse
Zubereitung:
Das bebutterte Blech mit dem Kuchenteig auslegen. Mit einer Gabel mehrmals einstechen und mit dem Käse bestreuen. — Speckwürfel leicht ausbraten, bis sie glasig sind. — Butter zugeben und darin die Zwiebeln, blättrig geschnitten, auf kleinem Feuer zugedeckt weich dünsten. Sie dürfen nicht gelb oder gar braun werden. — Mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss abschmecken. – Das etwas ausgekühlte Zwiebelgemüse auf den Kuchenboden verteilen und mit folgendem Guss gleichmässig bedecken: Mehl mit Milch glatt anrühren, Eier zugeben und gut verquirlen, Rahm sowie ein wenig Salz und Pfeffer dazurühren. — In den vorgeheizten Ofen schieben und bei spältchenbreit offener Tür die ersten 15 Minuten bei 230°C, dann 20 Minuten bei 210°C backen.
Aus: Marianne Kaltenbach, Aus Schweizer Küchen
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Mit dem abschliessenden Rezept schliesst sich endgültig der Kreis der Emotionen, die unseren Gefühlshaushalt bestimmen (und auch dieses Heft). Kulinarische Freude ist eine direkte Folge kulinarischer Vertrautheit, und welches Gericht wäre besser geeignet, dieser Freude Ausdruck zu verleihen, als Kaltenbachs «Ämmitaler Chässchnitte». Sie ist ein bäuerliches Gericht, Ausdruck dessen, worüber die Schweiz im Übermass verfügt (ich meine nicht Geld, sondern Käse und Brot). Sie ist ein Wirtshausgericht, millionenfach ausprobiert und perfektioniert. Sie ist ein Schlüssel zum Verständnis einer kulinarischen Landschaft, die es so nicht mehr gibt (nicht einmal Ihr, liebe Neophobiker, könnt daran etwas ändern) und doch ein Teil des geschmacklichen Seelengeflechts, das Wangen röten kann und grimmigen Hunger in heitere Zufriedenheit verwandelt, in Freude, in Glück.
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Ämmitaler Chässchnitte
Für 4 Personen
Zutaten:
4 Scheiben Schinken
1 EL Butter
4 Brotscheiben
4 Scheiben Emmentaler Käse
Pfeffer aus der Mühle
4 Spiegeleier
Zubereitung:
Zuerst den Schinken in einer Pfanne beidseitig kurz anbraten. Aus der Pfanne nehmen. — Die Butter zugeben, erhitzen und die Brotscheiben darin ganz kurz leicht rösten. — Jede Schnitte in ein feuerfestes Pfännchen geben. Zuerst mit Schinken, dann mit Emmentaler bedecken. — Im Ofen bei 220°C überbacken, bis der Käse flüssig wird. — Mit viel Pfeffer bestreuen und mit einem Spiegelei krönen. Mein Tipp: Nach dem Krönen Mozarts Krönungsmesse in C-Dur, KV 317 anstimmen. Und den Spass an der Freude geniessen.
Aus: Marianne Kaltenbach, Aus Schweizer Küchen
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