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Reise

Unordnung im Belvedergarten

Fast immer betrete ich den Belverderegarten in aufgeräumter Stimmung, weil ich nämlich vorher durch seinen wundersamen Nachbarn, den Botanischen Garten spaziert bin. Hie und da bin ich, Abkühlungsphase, auch noch ein Viertelstündchen im Alpengarten herumgesessen, dieser an den Landstraßer Gürtel gezwickten, zauberhaften Zwischenwelt zwischen historischer Botanik, Spielplatz der Jahreszeiten und urwienerischem Leo (man braucht für den Besuch nämlich eine Eintrittskarte, was die meisten Wiener davon abhält, hier Zuflucht zu suchen. Ich selbst brauche natürlich keine, weil die Herrschaften am Einlass längst wissen, dass ich eine Jahreskarte besitze und Herr Christian heiße).

Im Vergleich zu den englisch wuchernden, tausendfaches dunkles Grün atmenden Nachbargärten wirkt das Belvedere erst einmal strahlend hell und unglaublich aufgeräumt. Das liegt in der Natur der Sache, denn die hochstehende Sonne illuminiert das Obere Belvedere bis an den Rand der Überstrahlung, und der barocke Schlossgarten, vom Kurbayrischen Gartenarchitekten Dominique Girard um 1700 im französischen Stil entworfen, ist ja „als Bühne zum Lustwandeln, Promenieren und Konversieren [konstruiert] und soll gleichzeitig Macht, Weisheit und Reichtum seines Besitzers vor Augen führen“. Das braucht eine gewisse Übersichtlichkeit.

Mindestens dreimal die Woche gehe ich hier Veränderungen suchen. Zuerst trete ich in die Klangwolke aus Ah und Oh ein, die eine immer wieder neue, wenig komplex reagierende Besucherschaft dem Anblick des Schlosses hinter dem Prismenteich entgegenhaucht (so habe ich den Teich vor dem Schloss getauft, obwohl er nicht genau die Form eines Prismas hat, aber fast). Dann kontrolliere ich, ob die Mehrheit der Müßiggänger und Tagesfreizeitisten schon im Leiberl unter den gestutzten Bäumen sitzt, oder ob sie schon wieder einen Pullover braucht, mein Belvederegartenwetterbericht.

Wenn ich mich dann dem „Standort Canalettoblick“ auf der innenstadtnahen Seite des Schlosses annähere, reagiere auch ich meistens wenig komplex und starre mit offenem Mund hinunter auf die Stadt, wie sie sich vor meinen Augen ausbreitet, gerade jetzt und niemals wieder genauso. Alte Türme, neue Kräne, der Kahlenberg föhnig nah oder im impressionistischen Dunst, das Laub des Schwarzenbergparks zart und grün oder müde und bunt, auf der Prinz-Eugen-Straße ein Hupkonzert oder ein Moment magischer Stille. Jeder Blick ein Einzelstück in meiner ständig wachsenden Sammlung.

Außerdem sortiere ich Irritationen. Dabei meine ich gar nicht monumentale Parkverwandlungen wie den Auftritt des indischen Geldadelpaars, das im mittleren Parterre, zwischen Schloss und Kaskadenbrunnen, mit ein paar tausend Gästen Hochzeit feierte. Mir reicht schon das ungebürstete Nadelbäumchen mit der Rastafrisur am Rand des Kieswegs zum Unteren Belvedere oder das Fläschchen Jägermeister, das neben einer der Skulpturen abgestellt wurde, die uns die Geschichte vom Aufstieg aus der Unterwelt in den Olymp erzählen. Grund zum Feiern, finde ich auch.

Hier im mittleren Parterre haben ausgefuchste Gärtnerinnen und Gärtner ein bisschen Anarchie in die etwas zwänglerische Symmetrie des Barockgartens eingeschleppt. Tulpenexzesse im Frühjahr, im Sommer ein Wettwachsen von weißen und rosa Stockrosen, blauer Katzenminze und gelben Tagetes. Wie ich das bisschen Unordnung liebe.

Abseits davon gibt eh Konstanten genug, zum Beispiel den Mann am Akkordeon, der am Fuß der Stiegen vom Unteren zum Mittleren Parterre sitzt. Wie oft passt „Bella ciao“ in einen Arbeitstag? Fragt ihn, er weiß es.

Ich sehe dann sicher noch in den symmetrisch angelegten und von Hecken eingefassten Parzellen des untersten Parterres nach dem Rechten. Einmal habe ich den Sänger der Indieband „The Leftovers“ dabei angetroffen, wie er geübt hat, kopfüber vom untersten Ast hängend Bier zu trinken.

Hat übrigens geklappt. Auch die Schwerkraft ist in diesem Park nur eine Behauptung.

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