Zeig mir deine Küche, und ich sage dir, wer du bist
Liebe Leserin, lieber Leser,
Meine Küche ist, wie es bei Lewis Carroll heißt, ein «Rabbit Hole», ein Kaninchenbau, durch den ich mich – so wie Alice – auf den Weg ins Wunderland mache.
Die Küche ist der Ort, wo die Zeit schneller vergeht als im Rest der Welt (oder auch sehr viel langsamer, zum Beispiel, wenn ich meinem Genmai-Cha beim Ziehen zusehe).
In der Küche sortiere ich meine Ideen, reibe sie an der Realität (was großspurig klingt, aber oft allein die Verfügbarkeit bestimmter Lebensmittel meint, oder wie würden Sie eine Pasta mit Thunfisch kochen, wenn Sie keinen Thunfisch zu Hause haben oder, noch schlimmer, keine Pasta?).
Die Küche ist aber auch ein merkwürdig meditativer Rückzugsort, wenn es darum geht, die Reste eines größer angelegten Abendessens zum Verschwinden zu bringen oder die versaute Spring-Pfanne endlich einmal vom eingebrannten Fett (an der Außenseite, bitteschön) zu reinigen: Sie wissen schon, die Übung mit der aus Backpulver und lauwarmem Wasser zubereiten Paste und der Stahlwolle, die so befriedigend ist, weil die Pfanne anschließend wieder so supersauber aussieht, dass man sie für neue Experimente (und zu neuen Fettspritzern) hernehmen kann.
Dazu immer Musik, nicht zu leise. Gerade etwa das neue Album von «Joan as Police Woman» mit dem wunderbaren Titel «Lemon, Limes and Orchids» oder, aus speziellen Gründen, wieder einmal das fantastisch meditative Album «Cavalo» von Rodrigo Amarante, dem Schöpfer des Soundtracks zur Netflix-Serie «Narcos». Welche küchenpsychologischen Einschätzungen mir zur Küche als Ausdruck der Seele sonst so eingefallen sind, lesen Sie in meiner Kolumne dieser Woche, siehe unten.
Wenn Sie noch kurz Zeit haben, möchte ich noch etwas ganz anderes mit Ihnen besprechen: Ich habe zuletzt unzählige Mails von Ihnen erhalten, für die ich mich sehr bedanke. Journalismus, wie ich ihn mache, ist ein Dialog, keine Predigt. Ich freue mich über jede Mail, egal, ob Sie etwas wissen wollen, eine alte Kolumne verlegt haben oder mir einfach mitteilen wollen, dass Ihnen etwas weniger oder mehr Spaß gemacht hat: Schreiben Sie. Bitte schreiben Sie.
Geschrieben hat zum Beispiel Frau Emma Gafner, und ich habe eine Riesenfreude mit ihrer kleinen Geschichte: «Seit immer», schreibt Frau Gafner, «mache ich um alle Rezepte einen respektvollen Bogen, wenn es heisst, man solle das Zeugs ins kochende Wasser schmeissen und warten, ‹bis es wieder hochkommt›. Auch die Herstellung meiner überaus geliebten Semmel(n)knödel(n) hab ich immer meiner österreichischen Verwandtschaft überlassen. Bloss an die Serviettenknödel aus dem Kronenzeitung-Kochbuch, ca. 1960, hab ich mich mit grossem Respekt und vorsichtig ausgekochter Serviette gewagt.
Aber gestern nun haben ein Besuch und ein kulinarischer Notfall dafür gesorgt, dass ich dem Ralph Schelling seine Gnocchi nachgekocht hab. Mit einem Glas Cinghiale-Sugo aus dem Berg und Tal ((LINK: https://www.berg-tal.ch/)).
Und heh weischwie, nun bin ich die Nigella Lawson vom Seefeld! War bubieifach und ging megaschnell, und wir waren soo zufrieden. Das wollte ich Ihnen noch mitteilen….»
Ich grüße Sie alle, besonders aber die Nigella Lawson vom Seefeld und wünsche ein hervorragendes Wochenende,
Ihr Christian Seiler