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Musik

Der Zauberer

Ich bewundere Georg Kreisler (1922 – 2011), seit ich zum ersten Mal „Taubenvergiften im Park“ gehört habe, und das ist wahrscheinlich schon ziemlich lange her. Ich bewundere seinen Humor, für den schwarz als Farbbezeichnung nicht ausreicht, die maliziöse Grausamkeit, die in Pointen gehüllt auf die Bühne tritt, ich bin überwältigt von seinen wohlgesetzten Worten, dem untrüglichen Rhythmusgefühl, dem erzählerischen Killerinstinkt.

Ein bisschen fürchte ich mich allerdings auch vor ihm. Der Mann verfügt über einen Röntgenblick, und wenn du seinen Liedern zuhörst, weisst du nie, ob er bei der nächsten Bösartigkeit nicht vielleicht diesen alles durchdringenden Blick auf dich richtet, was im Grunde genommen nicht schlimm wäre, wenn er dabei nicht ganz sicher einen wunden Punkt entdecken würde, wieso kennt der Typ dich eigentlich so genau?

Wenn dann zum Beispiel Nikolaus Habjan in Gesellschaft von Lady Bug auf der Bühne steht und, begleitet von Franui, Kreislerlieder singt, dann wirft die Lady, obwohl sie nur eine Puppe ist, was ich natürlich weiss, einen Blick ins Publikum, den sie von Kreisler persönlich geerbt hat: streng, ein bisschen arrogant und aufgeladen von der unwiderlegbaren Wahrheit, dass es die lästigste Eigenschaft von Klugscheissern ist, dass sie ziemlich oft recht haben. Und dann trifft sich mein Blick mit ihrem und – touché.

Logisch, dass ich nicht die wenigen sentimentalen Songs von Kreisler meine, zwei alte Tanten tanzen Tango, mitten in der Nacht. Ich meine die Landminen, die Kreisler in Melodien und Reime verpackt hat, die nur scheinbar nachsichtigen Examinationen von Bösartigkeit und Charakterlosigkeit, die Abrechnungen im Drei-Minuten-Format, vier Lacher, aber statt des fünften bleibt dir der Mund offen stehen, weil aus der dahinplätschernden Belanglosigkeit plötzlich wie ein Magnesiumblitz die unangenehme Wahrheit ihre Umgebung in ein viel zu helles Licht taucht.

Meine Freiheit: ja. Deine Freiheit: nein.

Und schon wieder stehst du da.

Warum Georg Kreisler so dichtete, wie er dichtete, steht in einem beiläufigen Schriftstück. 1996 schrieb Kreisler, Jahrgang 1922, seinen „Brief an Wien“. Sein 75. Geburtstag stand bevor, und Kreisler würdigte im ersten Teil des Briefes, dass er zu „meinem 50. Geburtstag, zu meinem 60. Geburtstag, zu meinem 65. Geburtstag und zu meinem 70. Geburtstag (…) vom jeweiligen Herrn Bundespräsidenten, Bundeskanzler, Unterrichtsminister, Wiener Bürgermeister und Wiener Kulturstadtrat- oder rätin einen Glückwunschbrief oder ein Glückwunschtelegramm bekommen [habe], ausser von Herrn Dr. Waldheim.“

Nun wollte er, völlig zu Recht natürlich, nicht glauben, dass Bundespräsident, Bundeskanzler, Unterrichtsminister, Wiener Bürgermeister und Wiener Kulturstadtrat- oder rätin sich aus freien Stücken an seinen Jubeltag erinnerten. Er mutmaßte, dass sein Name „auf irgendeiner Liste steht, auf der die Geburtstage diverser Österreicher vermerkt sind, die im Interesse der Republik Österreich sind“, und ohne großes Tamtam sprach Kreisler „höflichst“ die Bitte aus, „zu veranlassen, dass ich von dieser Liste gestrichen werde.“

Allerdings handelte es sich bei Kreislers Wunsch nicht, wie zu vermuten gewesen wäre, um die kleine Eitelkeit eines älteren Herren, der sich etwas mehr Wertschätzung wünscht als einen Formbrief. Kreisler formulierte nämlich in ein paar Zeilen das Dilemma von österreichischer Schuld und Verdrängung, beschrieb lakonisch die warme Decke des Selbstbetrugs, die sich das Land nach dem Zweiten Weltkrieg über den Kopf gezogen hatte, um nicht in den Spiegel schauen zu müssen.

Kreisler schreibt: „Ich bitte nicht darum, weil ich sauer bin, denn es geht mir ja sehr süss für einen alten Herrn, und ich will auch nicht unhöflich sein, aber schauen Sie: Erstens bin ich kein österreichischer Staatsbürger und kann schon deshalb nicht im Interesse der Republik Österreich sein. Ich bin zwar in Wien geboren, wie meine Eltern, und ich war bis zum März 1938, als ich 15 Jahre alt war, österreichischer Staatsbürger, aber dann wurden alle österreichischen Staatsbürger automatisch deutsche Staatsbürger, also auch ich, und ich besitze immer noch meinen damaligen deutschen Reisepass mit einem J drin, also vielleicht bin ich noch Deutscher, ohne es zu merken, wenn auch mit einem J.

Aber auf keinen Fall bin ich Österreicher, denn im Jahre 1945, nach Kriegsende, wurden die Österreicher, die 1938 Deutsche geworden waren, automatisch wieder Österreicher, aber diesmal nur diejenigen, die die Nazizeit mitgemacht hatten. Wer unter Lebensgefahr ins Ausland geflüchtet wurde, also auch ich, bekam seine österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr zurück. Ich habe mich genau erkundigt: Da ich kein Nazi war und mir überdies die Flucht vor den Nazis gelungen ist, müsste ich bei Gericht um meine österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen, und Sie werden vielleicht verstehen, warum ich mich nicht in diese Situation begeben möchte. Es widerstrebt mir zutiefst, jemanden um die österreichische Staatsbürgerschaft bitten zu müssen. Ich bin seit 1943 amerikanischer Staatsbürger, obwohl mir der Clinton noch nie zum Geburtstag gratuliert hat.

Zweitens aber, und das ist vielleicht noch wichtiger, kann ich nicht im Interesse der Republik Österreich sein, weil sich die Republik Österreich in den über vierzig Jahren, seit ich nach Europa zurückgekehrt bin, noch nie um mich geschert hat. Kein subventioniertes Theater, kein subventionierter Verlag, kein Funk, kein Fernsehen, keinerlei Schauspiel-, Musik- oder sonstige Schule, keine österreichische kulturelle Organisation hat mich je um Mitarbeit gebeten. Und wenn man mich manchmal vorübergehend engagieren, ein Buch von mir publizieren oder ein Fernsehprogramm mit mir veranstalten will, treten sofort diverse Leute auf den Plan, die es verhindern wollen und meistens auch können, sicher zu ihrer Freude, aber nicht zu meinem Leid, denn mir geht es unter solchen Umständen besser, wenn ich nicht nach Österreich komme. Glücklicherweise hat man mir nie die Chance gegeben, Sehnsucht nach Österreich zu haben.“

Georg Kreisler hätte vermutlich hundert Schilling darauf gesetzt, dass er nach seinem Tod so schnell wie möglich vergessen wird.

Aber es gibt halt jemanden, der es ihm diesbezüglich nicht recht machen wollte mit dem Rechthaben. Die Zusammenarbeit von Nikolaus Habjan, Lady Bug und Franui holt einige der besten Songs Kreislers aus dem eigentlich längst abgeschlossenen Gesamtwerk und erfüllt sie mit neuem Leben. Ich finde, dass ihnen der Umweg über die musikalische Umkleidekabine sehr gut getan hat. Plötzlich treten sie nicht mehr im schmalen, dunklen Anzug hinter dicken Brillengläsern auf, sondern im charmanten Glitzerkleid, und dass statt eines perlenden Fünfzigerjahreklaviers die volle Kanne der lärmenden oder auch wolllüstig schweigenden Musicbanda Franui die Kreislersongs prägt, verändert die Gewohnheiten, mit denen wir diese Lieder immer gehört haben.

Nicht ein einziges Gramm Bösartigkeit ist ihnen abgeschminkt worden. Dafür hat sich, glaube ich, Lady Bug verwendet. Im Gegenteil, die konzertante Begleitung führt das Publikum, für einen Moment jedenfalls, jubelnd auf falsche Fährten, nur um umso spektakulärer in die Fallen zu gehen, deren Mechanik Kreisler so gekonnt ausgeklügelt hat.

In der Popmusik habe ich für mich ein Kriterium formuliert, dem, wie ich finde, jeder gute Song genügt: Er muss zur unverstärkten Wandergitarre gesungen werden können und darf dabei nichts von seiner Faszination einbüssen.

In der klassischen Populärmusik habe ich diese Purifikation an Franui ausgelagert: Nur, wenn eine volle Partitur in die Klangwelten dieser gefühlsbegabten Blasmusik passt, wird sie für gegenwartstauglich befunden und einer neuen Lesart unterzogen.

Lady Bug singt: „Wie schön wäre Wien ohne Wiener“, und vielleicht ist das ja ein Hinweis darauf, dass nur eine Kapelle aus Osttirol befugt ist, Kreislers Fackel weiterzutragen, natürlich mit Unterstützung des großartigen Puppenspielers und Sängers Nikolaus Habjan und von Lady Bug, die ein Auge darauf wirft, dass die scharfen Ecken dieser Songs auf keinen Fall abgeschliffen werden.

Kann also durchaus sein, dass Sie gerade begonnen haben, dem süssen Rhythmus des Blechs und der Saiten zu folgen und beseelt mitzuwippen.

Ich kann Sie nur warnen: Gleich scheppert’s.

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