Der Sturm
„Sturm“ – für alle von Ihnen, die gerade das Gefühl haben, ich deliriere – ist laut Weinlexikon die österreichische Bezeichnung für zum Teil vergorenen Traubenmost, also das primäre Ergebnis ausgepresster Trauben. Diese Trauben müssen ausnahmslos in Österreich geerntet und verarbeitet worden sein. Der Name „Sturm“ leitet sich vom Geräusch im Glas des kohlensäurereichen Getränks ab, doch, das stimmt. Mein Tipp: Bestellen Sie sich im Wirtshaus ein Glas Sturm und hören Sie für ein paar Minuten aufmerksam ins Glas hinein (Sie müssen den Inhalt ja nicht trinken). Das Ergebnis hat shakespearehafte Qualitäten. Außerdem erkenne ich am Freitagabend endlich alle Leserinnen und Leser dieses Newsletters an ihrer folgsamen, wenn auch etwas einsamen Abendbeschäftigung.
„Sturm“ ist – im Gegensatz zum „Federweißen“ (Deutschland) oder „Sauser“ (Schweiz) – eine von der EU herkunftsgeschützte Bezeichnung, übrigens in aller erwünschten Unschärfe. Der Alkoholgehalt des erzählfreudigen Getränks muss nämlich mindestens ein sogenanntes Volumenprozent betragen, das sich allerdings durch die weiterhin fortschreitende Gärung des Mosts bis zu 13,5 Prozent (bei weißem Sturm) oder 14,5 Prozent (bei rotem) auswachsen kann.
Mit einem Wort: Man hat weder eine Ahnung, wie stark das Gschloder gerade ist, noch, wieviel (und vor allem: wieviel nicht) man davon saufen sollte. Der „Sturm“ ist der nur temporär auftretende, hinterlistige Schwiegervater des Alkopops, mit dem sich im Bermudadreieck die Fünfzehnjährigen wegschießen, süß, scheinheilig und gefährlich.
Das Verhältnis von Zucker und Alkohol – die Süße des Traubensafts verwandelt sich bekanntlich durch die Gärung in C₂H₆O (Ethanol) – hat zu keiner Zeit des Jahres mehr Einfluß auf die Unterhaltung am Wirtshaustisch als zu dieser. Die Strategie für den Nachmittag – Sie trinken schon am Nachmittag? – oder Abend muss also lauten: Schnell die wichtigen Dinge besprechen, und jederzeit darauf vorbereitet sein, dass die Unterhaltung plötzlich zu Ende ist: wie bei den Sondierungsgesprächen.